Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons

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begeben, gelacht und getan hatten, was die Nachmenschen eben taten, bevor … bevor was? Die Augen der Frauen in den grauen, ledrigen Gesichtern waren noch intakt, wenn auch gefroren und weißlich getrübt, und Daeman schaute in die starren, milchigen Blicke des halben Dutzends Leichen, als könnte darin eine Antwort zu finden sein. Als keine kam, räusperte er sich und sagte ins Mikrofon seiner Osmosemaske: »Was glaubt ihr, was sie umgebracht hat?«
    »Das wüsste ich auch gern«, sagte Harman. Er schwebte bei einem anderen Leichenbündel. Gegenüber der grauen Haut der Leichen wirkte das Blau seines Anzugs im trüben Totenlicht beinahe schockierend. »Ein plötzlicher Druckabfall?«
    »Nein.« Savis Gesicht war nur Zentimeter von dem einer toten Frau entfernt. »Keine Blutungen hinter den Augen, keine Anzeichen von Ersticken und auch keine geplatzten Trommelfelle, die es bei einem katastrophalen Atmosphärenverlust gegeben hätte. Und schaut euch das hier an.«
    Die anderen beiden schwebten näher heran. Savi schob drei behandschuhte Finger in ein schartiges Loch im ledrigen Hals der Leiche. Die Finger verschwanden bis zu den Knöcheln. Angewidert stieß Daeman sich ab und schwebte rückwärts davon, aber es war ihm nicht entgangen, dass auch die anderen Leichen solche schartigen Wunden am Hals, den Schenkeln und dem Brustkasten hatten.
    »Plünderer?«, sagte Harman.
    »Nein, das glaube ich nicht.« Savi schwebte von einer Leiche zur anderen und untersuchte jede Wunde. »Und auch keine Folgen der Verwesung. Hier gab es wohl auch damals schon nicht viele lebensfähige Bakterien, bevor die Luft zu entweichen begann und die Kälte kam. Vielleicht hatten die Nachmenschen nicht einmal Bakterien in ihrem Gedärm.«
    »Wie könnte das sein?«, fragte Daeman.
    Savi schüttelte nur den Kopf. Sie schwebte zu zwei Leichen auf der nächsten Plattform, die sich in Stühle verheddert hatten. Diese Leichen wiesen größere Bauchwunden auf. Fetzen loser, zerrissener Kleidung schwebten in der dünnen, kalten Luft. »Etwas hat ein Loch in ihren Bauch gefressen«, flüsterte Savi.
    »Was?« Daeman hörte, wie hohl seine Stimme in den Thermohaut-Kopfhörern klang.
    »Ich glaube, all diese Menschen – diese NMs – sind an ihren Wunden gestorben«, sagte Savi. »Etwas hat sich ihnen in den Hals und den Bauch gefressen und ihnen das Herz herausgerissen.«
    »Was?«, fragte Daeman erneut.
    Statt zu antworten, holte Savi die schwarze Schusswaffe aus ihrem Rucksack und klebte sie auf den Klettstreifen am Oberschenkel ihres Thermohautanzugs. Sie zeigte auf eine etwa einen Kilometer entfernte Stelle, wo der offene Promenadenweg der inneren Stadt eine Kurve beschrieb. »Dort bewegt sich etwas«, sagte sie.
    Ohne darauf zu warten, ob die beiden Männer ihr folgten, stieß Savi sich ab und schwebte in diese Richtung.


41
Olympus Mons
    Nach ihrer Gefangennahme dachte Mahnmut, dass er den Apparat – worum auch immer es sich dabei handelte – am besten sofort aktiviert hätte, nachdem der blonde Gott in dem fliegenden Streitwagen den Ballon zerstört und sich daran gemacht hatte, sie zum Olympus Mons zu schleppen.
    Aber er kam nicht an den Apparat heran. Auch nicht an den Sender. Oder an Orphu. Mahnmut brauchte all seine Kräfte, um sich an der Reling der Gondel festzuhalten, während sie fast mit Schallgeschwindigkeit zu dem marsianischen Vulkan flogen. Wenn er den Apparat, den Sender und Orphu von Io nicht mit jedem Meter Seil und Draht, den er hatte auftreiben können, am Boden der Gondel festgebunden hätte, wären alle drei Zwölftausend Meter und mehr zur Hochebene zwischen dem nördlichsten der Tharsis-Vulkane – Ascraeus – und dem Tethys-Meer hinabgestürzt.
    Der Gott in der Maschine, der diese metrischen Tonnen toten Gewichts sowie die zusätzliche Last der gebündelten Seile noch immer in einer Hand hielt, ging sogar noch etwas höher, während der Streitwagen nach Norden flog. Er beschrieb einen Bogen übers Meer, gewann dabei weiter an Höhe und kam schließlich von Norden auf den Olympus Mons zu. Obwohl Mahnmuts kurze Beine herabbaumelten und seine Manipulatoren sich tief in die Reling der Gondel gegraben hatten, musste er zugeben, dass es ein grandioser Anblick war.
    Eine fast geschlossene Wolkenmasse bedeckte den größten Teil des Gebietes zwischen den Tharsis-Vulkanen und dem Olympus; nur die kompakten Massen der Vulkane erhoben sich aus der Wolkendecke. Die aufgehende Sonne im Südosten war klein, aber sehr hell, und