Ilium
will. Aber ich scheine ja von der Nanozytensprengung ausgenommen zu sein. Andererseits glaube ich der Göttin der Liebe voll und ganz, wenn sie sagt, dass sie sich Strapse aus meinem Gedärm machen wird.
»Wie lautete die Frage, Göttin?«, bringe ich nur heraus.
»Du weißt, wie die Ilias ausgeht, aber ich würde Zeus’ Befehl zuwiderhandeln, wenn ich dich danach fragte«, sagt Aphrodite. Ihr leises Lächeln weicht einer Art Schmollen. »Aber ich darf dich fragen, ob das Gedicht diese Realität vorhersagt. Also, Scholiker Hockenberry, wer herrscht deiner Meinung nach über das Universum: Zeus oder das Schicksal?«
Ach du Scheiße, denke ich. Was auch immer ich darauf antworte, es wird dazu führen, dass ich meine Gedärme los bin und dass diese schöne Frau – diese Göttin – schleimige Strapse trägt. Ich sage: »Obwohl das Universum sich Zeus’ Willen beugt und den Launen der göttlichen Macht des Schicksals gehorchen muss, Göttin, hat das kaos nach meiner Überzeugung ein gewisses Mitspracherecht im Leben der Menschen wie auch der Götter.«
Aphrodite gibt einen leisen, belustigten Laut von sich. Alles an ihr ist so weich, so einladend, so verführerisch …
»Wir werden nicht abwarten, bis das Chaos diese Kontroverse entscheidet«, sagt sie, und ihre Stimme verliert dabei jeden belustigten Klang. »Hast du heute gesehen, wie Achilles sich aus dem Kampf zurückgezogen hat?«
»Ja, Göttin.«
»Weißt du, dass der Männertöter bereits zu Thetis gebetet hat, damit sie seine achäischen Landsleute für die Schmach bestraft, die Agamemnon auf ihn geladen hat?«
»Ich war bei diesem Gebet nicht dabei, Göttin, aber ich weiß, dass es dem Verlauf des … des Versepos entspricht.« Diese Auskunft ist ungefährlich. Das Ereignis liegt in der Vergangenheit. Außerdem ist die Meeresgöttin Thetis Achilles’ Mutter, und jeder auf dem Olymp weiß, dass er sie gebeten hat einzugreifen.
»So ist es«, sagt Aphrodite. »Diese notgeile Schnepfe mit den nassen Titten war bereits hier in der großen Halle und hat sich Zeus zu Füßen geworfen, kaum dass der alte Narr von seiner Sause mit den Äthiopen am Okeanos zurück war. Sie hat ihn Achilles zuliebe angefleht, den Trojanern einen Sieg nach dem anderen zu schenken, und der alte Trottel hat sich einverstanden erklärt. Dadurch ist er auf Kollisionskurs mit Hera geraten, der obersten Fürsprecherin der Argeier. So kam es zu der Szene, die du miterlebt hast.«
Ich stehe aufrecht da, mit hängenden Armen, die Handflächen nach vorn gedreht, den Kopf leicht geneigt, und beobachte Aphrodite die ganze Zeit, als wäre sie eine Kobra. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass ihr Angriff – wenn sie mich anzugreifen beschließt – viel schneller und tödlicher sein wird als der jeder Kobra.
»Weißt du, warum du länger am Leben geblieben bist als jeder andere Scholiker?«, blafft Aphrodite.
Da eine verbale Antwort mein Todesurteil wäre, schüttle ich nur ganz leicht den Kopf.
»Du bist noch am Leben, weil ich vorausgesehen habe, dass du mir einen Dienst erweisen kannst.«
Schweiß läuft mir über die Stirn und brennt mir in den Augen. Weiterer Schweiß bildet Rinnsale auf meiner Wange und meinem Hals. Als Scholiker ist es unsere beschworene Pflicht – war es während der letzten neun Jahre, zwei Monate und achtzehn Tage meine beschworene Pflicht –, den Krieg auf der Ebene von Ilium zu beobachten, ohne jemals einzugreifen, ohne irgendetwas zu tun, was das Ergebnis des Krieges oder das Verhalten seiner Helden irgendwie ändern könnte.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe, Hockenberry?«
»Ja, Göttin.«
»Interessiert es dich zu erfahren, worin dieser Dienst besteht, Scholiker?«
»Ja, Göttin.«
Aphrodite erhebt sich von ihrer Liege, und jetzt neige ich den Kopf wirklich, aber ich höre das Rascheln ihres seidenen Gewandes, ja sogar das leise Geräusch, mit dem sich ihre glatten weißen Schenkel sanft aneinander reiben, als sie näher kommt; ich rieche ihren Duft nach Parfüm und sauberer Weiblichkeit, als sie dicht vor mir stehen bleibt. Für kurze Zeit hatte ich ganz vergessen, wie groß eine Göttin ist, doch als sie nun über mir aufragt, ihre Brüste nur Zentimeter von meinem gesenkten Gesicht entfernt, wird mir unsere jeweilige Größe nachdrücklich in Erinnerung gerufen. Einen Moment lang muss ich gegen den Drang ankämpfen, das Gesicht im duftenden Tal zwischen diesen Brüsten zu begraben. Ich weiß zwar, dass dies meine letzte Tat vor einem
Weitere Kostenlose Bücher