Ilium
war. Ein Bild aus der Grotte stieg in ihm auf: das obszöne Rosa der nackten Geschlechtsteile des Tierwesens.
Als Caliban seine Zähne herauszog, um erneut zuzuschnappen – Daeman wusste, dass er den Vorstoß zu seiner Drosselvene kein drittes Mal parieren konnte –, langte der Mensch mit seiner freien linken Hand nach unten, fand nachgiebige Kugeln und drückte so fest zu wie noch nie in seinem Leben.
Statt vorzustoßen, riss das Ungeheuer den Kopf weit zurück und brüllte so laut in die dünne Luft, dass das Geräusch in dem beinahe luftleeren Raum widerhallte. Dann versuchte die Bestie mit aller Macht, sich zu befreien. Daeman duckte sich tief, griff auch mit der anderen Hand nach unten – sein rechter Arm blutete, aber die Finger funktionierten noch – und drückte erneut zu, hielt fest und wurde von Caliban mitgezerrt, als dieser sich wand und um sich trat, um sich zu befreien. Daeman stellte sich vor, er würde mit seinen kraftvollen Händen, seinen menschlichen Händen Tomaten zu Brei zerquetschen, stellte sich vor, er würde den Saft aus Orangen, aus platzendem Fruchtfleisch pressen, und hielt fest – die Welt hatte sich auf den Willen verengt, festzuhalten und zu drücken –‚ und Caliban brüllte erneut, holte mit seinem langen Arm aus und versetzte Daeman einen so heftigen Schlag, dass er davonflog.
Mehrere Sekunden lang war Daeman nur halb bei Bewusstsein, sodass er sich nicht verteidigen konnte; er wusste nicht einmal, wo er war. Aber die Kreatur nutzte diese Sekunden nicht – sie war zu sehr damit beschäftigt, brüllend um sich zu schlagen und sich den Unterleib zu halten; ihre schuppigen Knie zuckten hoch, und sie versuchte, sich mitten in der Luft zusammenzurollen. Als sich der Nebel vor Daemans Augen schließlich lichtete, sah er, wie das Monster mit rudernden Armen zur Terrasse zurückschwebte, das Geländer packte und sich zu ihm abstieß. Die Distanz betrug keine fünf Meter; die langen Arme und die Klauen waren schon halb bei ihm.
Daeman tastete blindlings inmitten der Stühle und Tische herum, fand sein Eisenrohr dort, wo es aufgeprallt war, hob es mit beiden Händen zur Schulter und versetzte Caliban mit dem Metall einen fürchterlichen Schlag an die Schläfe. Das Geräusch war äußerst befriedigend. Calibans Kopf flog zur Seite, er überschlug sich und krachte mit fuchtelnden Armen in Daeman hinein, aber der Mensch schleuderte die Bestie beiseite – er spürte, dass sein rechter Arm jetzt taub wurde –, ließ das Rohr fallen, sprang zum Terrassengeländer und stieß sich dann zu dem halb durchlässigen Ausgang zehn Meter über ihm ab.
Zu langsam.
Besser an die niedrige Schwerkraft gewöhnt, von einem Hass jenseits allen menschlichen Maßes angetrieben, nutzte Caliban seinen Schwung und sämtliche Gliedmaßen. Er stieß sich von der Wand der Terrasse ab, packte das Geländer mit den Zehen, kauerte sich zusammen und sprang, um vor Daeman bei dem markierten Paneel über ihnen zu sein.
Als Daeman sah, dass er das Rennen zum Glas nicht gewinnen würde, packte er einen Träger, der fünf Meter unter dem markierten Paneel vorstand, und hielt sich daran fest. Caliban landete mit ausgebreiteten Armen auf dem Sims und versperrte ihm den Zugang zu dem weißen Quadrat. Daeman sah, dass er nicht an diesen ausgebreiteten Armen, diesen krallenden Klauen vorbeikommen würde. Plötzlich traf ihn der Schmerz in seinem zerrissenen und durchbohrten Arm wie ein Stromschlag in Kopf und Körper, und die zunehmende Taubheit war wie eine Warnung vor der Schwäche und dem Schock, die bald folgen mussten.
Caliban warf den Kopf in den Nacken, brüllte erneut, bleckte die Zähne und intonierte einen Singsang: »Was ich hasse, preist Er – was ich esse, feiert Er! Nicht von deinem Rang – für mich ein guter Fang!« Caliban war bereit, sich auf Daeman zu stürzen, sobald sich der Mensch zur Flucht wandte.
Daeman sah die noch nicht verheilten Narben auf Calibans Brust und lächelte grimmig. Savi hat ihn mit ihrem Schuss verletzt. Sie ist nicht kampflos gestorben.
Und das werde ich auch nicht tun.
Statt die Flucht zu ergreifen, zog sich Daeman an dem Träger in die Waagerechte, kauerte sich zusammen, sammelte seine verbliebene Kraft in den Beinen, senkte den Kopf und katapultierte sich schnurstracks auf Calibans Brust zu.
Daeman brauchte zwei oder drei Sekunden, um den Raum zwischen ihnen zu durchqueren, aber das Monster schien einen Moment lang so überrascht zu sein, dass es nicht reagierte.
Weitere Kostenlose Bücher