Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons

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Futter sollte sich nicht so impertinent benehmen – Beute sollte nicht angreifen. Dann erkannte die Kreatur, dass ihr Abendessen auf sie zukam – in der Thermohaut, die sie haben wollte –, und bleckte sämtliche Zähne in einem Lächeln, das zu einer raubtierhaften Grimasse wurde. Die Bestie umschlang den herankommenden Menschen mit Armen und Beinen, und Daeman wusste, dass sie ihren Griff nicht mehr lösen würde, bis der Mensch tot und halb aufgefressen war.
    Sie flogen gemeinsam durch die Membran. Daeman hatte das Gefühl, durch einen klebrigen Gazevorhang zu schießen. Caliban brüllte erst in dünne Luft und gleich darauf in kaltes Schweigen. Zusammen purzelten sie in den Weltraum. Daeman umklammerte Caliban ebenso fest wie dieser ihn; er drückte mit der linken Hand von unten gegen das Kinn des Monsters und versuchte, dessen Zähne für die acht bis zehn Sekunden, die er zu brauchen glaubte, von sich fern zu halten.
    Der Thermohautanzug reagierte sofort auf das Vakuum – er straffte sich unnachsichtig um Daemans Körper, zog sich zusammen, bis er als Druckanzug fungierte, und dichtete selbst molekulare Lücken ab, durch die Luft, Blut oder Wärme in den Raum entweichen würden. Die Osmosemaske blies die transparente Sichtscheibe auf und erhöhte die Strömungsgeschwindigkeit und den Reinigungsfaktor der wiederaufbereiteten Atemluft auf 100 Prozent. Kühlröhrchen in der Thermohaut ließen Daemans natürlichen Schweiß rasch durch Kanäle abfließen und kühlten seine zur Sonne gewandte Seite, während zugleich Körperwärme zu jenem Teil seines Körpers geleitet wurde, der sich im Zweihundert-Grad-unter-Null-Schatten befand. All dies geschah im Bruchteil einer Sekunde, und Daeman bemerkte es nicht einmal. Er war zu sehr damit beschäftigt, Calibans Kiefer und Schnauze nach oben zu drücken, um diese Zähne von seiner Kehle und seiner Schulter fern zu halten.
    Caliban war zu stark. Er schüttelte den Kopf, befreite ihn von Daemans nachlassendem Druck und riss dann das Maul zu einem Gebrüll auf, bevor er sich daran machte, dem Menschen die Kehle herauszureißen.
    Luft strömte aus Calibans Brust und Maul wie Wasser aus einem durchlöcherten Flaschenkürbis. Speichel gefror, noch während er ins All gespien wurde. Caliban schlug sich die langfingrigen Hände über die Ohren, aber zu spät – Blutkügelchen spritzten ins All, als die Trommelfelle der Kreatur platzten. Die Blutkügelchen begannen im Vakuum zu kochen, und kaum mehr als eine Sekunde später begann auch das Blut in Calibans Adern zu kochen.
    Calibans Augen traten aus den Höhlen, und aus seinen Tränenkanälen spritzte Blut. Seine Schnauze bewegte sich auf und ab, während sein Maul wie das eines Fisches arbeitete. Lautlos keuchend rang er im Vakuum nach Luft, bekam aber keine. Die Oberfläche seiner hervorquellenden Augen begann zu überfrieren und sich weiß zu trüben.
    Daeman hatte sich seinem Griff entwunden und purzelte nun über die Außenterrasse. Beinahe wäre er hilflos ins All hinausgeschwebt, aber er bekam gerade noch das Maschendrahtgeländer zu fassen. Dann zog er sich Hand über Hand zu dem Sonie, das am Metallboden festgemacht war. Er wollte nicht fliehen. Er wollte Caliban nicht den Rücken zukehren. Er wollte bleiben und das um sich schlagende Monster mit seinen behandschuhten Händen töten.
    Eine dieser Hände funktionierte jetzt nicht mehr – sein zerrissener rechter Arm hing nutzlos herunter, als er sich abstieß und die letzten drei Meter zu der niedrigen Flugmaschine zurücklegte. Harman. Hannah.
    Ein ungeschützter Mensch im Weltraum wäre inzwischen tot gewesen – Daeman, der von allem so wenig wusste, wusste das instinktiv –, aber Caliban war nicht menschlich. Er spuckte Blut und gefrorene Luft wie ein schrecklicher Komet, dessen Oberfläche bei der Annäherung an die Sonne verkochte, überschlug sich, ruderte mit den Armen, fand Halt am Gitternetz der Terrasse und stieß sich durch die halb durchlässige Wand zurück in Luft und relative Wärme.
    Daeman war zu beschäftigt, um es mitanzusehen. Er legte sich flach in die gepolsterte Pilotenmulde und richtete den Blick auf das Metallbord, wo die virtuelle Schalttafel sein sollte. Sie war abgeschaltet.
    Wie aktiviere ich es? Was mache ich, wenn es mir gelingt? Wie hat Savi das Ding gestartet?
    Daeman konnte sich nicht erinnern. Sein Sichtfeld verengte sich; schwarze Punkte tanzten darin. Er hyperventilierte und war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, während