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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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erkennen konnte. Der rechte Arm dieses Mannes hing herunter, mit der Handfläche nach vorn, und die bloße Hand sowie das Handgelenk waren dunkelrot von Blut. Beide Männer taumelten; sie hielten sich mit letzter Kraft auf den Beinen und gingen weiter.
    Odysseus zog das Kurzschwert halb aus der Scheide an seinem Gürtel.
    »Nein!«, rief Ada und stieß Odysseus’ Hand herunter. »Nein, das sind Harman und Daeman!« Sie lief durch das hohe Gras auf sie zu.
    Harman kippte vornüber, als sie näher kam, und Odysseus rannte die letzten zwanzig Schritte und fing Harmans Last auf, als der Mann nach vorn fiel. Daeman sank ebenfalls auf die Knie.
    »Es ist Hannah«, sagte Odysseus. Er legte die bewusstlose junge Frau ins Gras und tastete an ihrem Hals nach dem Pulsschlag.
    »Hannah?«, wiederholte Ada. Die Frau hatte weder Haare noch Wimpern, aber die Augen unter den flatternden Lidern waren die von Hannah.
    »Hallo, Ada«, hauchte das Mädchen am Boden.
    Ada ließ sich auf ein Knie nieder, hockte sich neben den zusammengebrochenen Harman und half ihm, sich auf den Rücken zu rollen. Er versuchte, zu ihr hinaufzulächeln. Das Gesicht ihres Geliebten war unter den Koteletten zerschlagen und zerschnitten; Wangen und Stirn waren mit geronnenem Blut verklebt. Die Augen lagen tief in den Höhlen, die Haut war von ungesundem Weiß, die Wangenknochen standen über dem Bart spitz hervor. Harman zitterte fiebrig und sah sie mit glühenden Augen an. Seine Zähne klapperten, als er sprach. »Mir geht es gut, Ada. Gott, bin ich froh, dich zu sehen.«
    Daeman war in schlimmerer Verfassung. Ada konnte nicht glauben, dass es sich bei diesen beiden übel zugerichteten, blutbesudelten, ausgemergelten Männern um dieselben handelte, die vor einem Monat so lässig zu ihrer Reise aufgebrochen waren. Sie legte einen Arm unter Daemans Arm, damit er nicht mit dem Gesicht voran zu Boden fiel. Er schwankte auf den Knien.
    »Wo ist Savi?«, fragte Odysseus.
    Harman schüttelte traurig den Kopf. Er schien zu müde zu sein, um noch einmal zu sprechen.
    »Caliban«, sagte Daeman. Ada fand, dass seine Stimme zwanzig Jahre älter klang.
    Der Meteorsturm hatte seinen Höhepunkt überschritten; die Einschläge und feurigeren Abstürze hatten sich weiter ostwärts verlagert. Einige Dutzend kleinerer Streifen überquerten den Zenit beinahe sanft von West nach Ost. Sie ähnelten eher dem alljährlichen Perseidenstrom als dem wütenden Bombardement des früheren Abends.
    »Bringen wir sie ins Haus«, sagte Odysseus. Er stand auf, hob Hannah mit beiden Armen hoch und hielt Daeman die rechte Schulter hin, damit er sich beim Aufstehen darauf stützen konnte. Ada half Harman auf die Knie und dann auf die Beine, legte seinen rechten Arm um ihre Schulter und trug einen großen Teil seines Gewichts, als sie über die dunkle Wiese auf die Lichter von Ardis Hall zugingen, wo Odysseus’ Jünger und Adas Freunde inzwischen Kerzen angezündet hatten.
    »Der Arm sieht schlimm aus«, sagte Odysseus zu Daeman. »Wenn wir mehr Licht haben, schneide ich die Thermohaut weg und schaue ihn mir an.«
    Ada langte mit ihrer freien Hand zu Daeman hinüber und berührte sanft seinen blutigen Arm; er stöhnte und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Nur Odysseus’ starke Schulter und Adas rechte Hand hielten ihn aufrecht. Seine Augenlider flatterten ein paar Sekunden lang, aber dann sammelte er sich, lächelte Ada an und ging weiter.
    »Das sind ernste Verletzungen«, sagte Ada. Zum zweiten Mal an diesem Abend war sie den Tränen nahe. »Ihr solltet beide in die Klinik gefaxt werden.«
    Sie verstand überhaupt nichts, als beide Männer auflachten. Anfangs klang es zögernd und schmerzhaft, dann einen Moment lang eher wie ein Husten als wie ein Lachen, aber dann verwandelte sich das Gebell in lautes Gelächter, das immer lauter und echter wurde, bis die beiden auf beinahe irritierende Weise betrunken klangen.
     

63
Olymp
    Olympus Mons, der höchste Vulkan auf dem Mars, erhebt sich mehr als sechsundzwanzig Kilometer über die umliegende Ebene und über den neuen Ozean an seinem Fuß. An der Basis hat der Vulkan einen Durchmesser von rund 600 Kilometern. Mit seinem grünen Gipfel in einer Höhe von 26.500 Metern ist der Olympus Mons fast dreimal so hoch wie der Mount Everest auf der Erde. Die Flanken des Berges, tagsüber weiß von Schnee und Eis, leuchten an diesem Abend fast blutrot im Schein der untergehenden Sonne.
    Am nordöstlichen Fuß des Olympus Mons steigen die zerklüfteten

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