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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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zustechenden Achäer türmen sich die Leichen. Es sieht aus, als würde sich der aufgerüstete Diomedes durch Wogen menschlichen Fleisches hacken, um die langsam zurückweichende Aphrodite einzuholen. »Du meine Güte«, sage ich leise.
    »Ja«, sagt der andere Scholiker. »In den letzten paar Minuten hat er Astinoos und Hypeiron, Abas und Polyidos, Xanthos und Thoon, Echemmon und Chromios getötet … die ganzen Hauptmannspaare.«
    »Weshalb immer zwei zugleich?«, denke ich laut.
    Nightenhelser sieht mich an, als wäre ich ein begriffsstutziger Student in einem seiner Proseminare. »Weil sie auf den Streitwagen standen, Hockenberry. Zwei Mann pro Wagen. Diomedes hat sie getötet, als sie ihn mit ihren Streitwagen angegriffen haben.«
    »Aha«, sage ich peinlich berührt. Meine Aufmerksamkeit gilt nicht den getöteten trojanischen Hauptleuten, sondern Aphrodite. Die Göttin hat ihren Rückzug von den trojanischen Linien soeben unterbrochen; mit dem verwundeten Äneas auf den Armen stolziert sie nun hin und her, deutlich sichtbar für die durcheinander laufenden und angsterfüllten Trojaner, die vor Diomedes fliehen. Aphrodite zwingt die trojanischen Kämpfer mit Stromschlägen und Stößen ihres schimmernden Kraftfelds ins Kampfgetümmel zurück.
    Als Diomedes die Göttin sieht, wird er zum Berserker; mit wilden Schwerthieben bahnt er sich seinen Weg durch eine letzte, schützende Linie von Trojanern, um die Göttin selbst zum Kampf zu stellen. Ohne ein Wort zu sagen, hebt er seinen langen Speer. Aphrodite, die immer noch den verwundeten Äneas trägt, baut fast beiläufig ein Kraftfeld auf. Der Angriff eines Sterblichen bereitet ihr offenbar keine Sorgen.
    Sie hat vergessen, dass Athene Diomedes modifiziert hat.
    Diomedes macht einen Satz nach vorn. Das Kraftfeld der Göttin knistert und gibt nach, der Achäer stürzt sich mit seiner langen Lanze auf sie, und der Schaft und die Widerhaken zerreißen Aphrodites persönliches Kraftfeld, ihre seidenen Gewänder und ihr göttliches Fleisch. Die rasiermesserscharfe Speerspitze schlitzt der Göttin das Handgelenk auf, sodass rote Muskeln und weiße Knochen sichtbar werden. Goldener Ichor – statt rotes Blut – spritzt in die Luft.
    Aphrodite starrt die Wunde eine Sekunde lang an, dann schreit sie – ein unmenschlicher Schrei, etwas Gewaltiges und Verstärktes, ein weibliches Kreischen aus der Verstärkerbank eines Rockkonzerts in der Hölle.
    Sie taumelt, immer noch schreiend, und lässt Äneas fallen.
    Statt nach seinem erfolgreichen Angriff weiter auf Aphrodite anzudringen, zieht Diomedes sein Schwert und macht Anstalten, den bewusstlosen Äneas zu enthaupten.
    Phöbus Apollo, der Herr des silbernen Bogens, qtet zwischen den außer Rand und Band geratenen Diomedes und den gestürzten Trojaner und hält den Achäer mit einem pulsierenden, halbkugelförmigen Plasma-Kraftfeld im Zaum. Vom Blutdurst geblendet, schlägt Diomedes mit dem Schwert auf das Kraftfeld ein. Sein eigenes Energiefeld prallt rot auf Apollos gelben Schutzschild. Aphrodite starrt immer noch ihr aufgeschlitztes Handgelenk an, und es sieht so aus, als würde sie dem tobenden Diomedes gleich ohnmächtig vor die Füße fallen. Die Göttin scheint solche Schmerzen zu haben, dass sie sich nicht genug konzentrieren kann, um per Quantenteleportation zu fliehen.
    Auf einmal kommt ihr Bruder Ares in einem auffälligen fliegenden Streitwagen daher und schiebt Trojaner wie Griechen gleichermaßen beiseite, als er den Plasma-Fuß des Schiffes ausdehnt, um neben seiner Schwester zu landen. Aphrodite heult und winselt vor Schmerz; sie versucht ihm zu erklären, dass Diomedes den Verstand verloren hat. »Der möchte jetzt wohl mit Vater Zeus kämpfen!«, schreit die Göttin und sinkt dem Kriegsgott in die Arme.
    »Kannst du das Ding fliegen?«, fragt Ares.
    »Nein!« Jetzt verliert Aphrodite wirklich das Bewusstsein und bricht zusammen. Ihre blutige – oder ichorische – rechte Hand umklammert immer noch die verletzte linke Hand und das Handgelenk. Es ist ein seltsam beunruhigender Anblick. Götter und Göttinnen bluten nicht. Jedenfalls haben sie in den neun Jahren, die ich nun hier bin, noch nie geblutet.
    Die Göttin Iris, Zeus’ persönliche Botin, materialisiert abrupt zwischen dem Streitwagen und dem Kraftfeld Apollos, der immer noch den zusammengebrochenen Äneas beschützt. Die Trojaner sind mit vorquellenden Augen zurückgewichen, und Diomedes wird von den überlappenden Energiefeldern in Schach

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