Ilium
bleibt stehen. »Ich provoziere ihn? Indem ich meine Achäer davor bewahre, abgeschlachtet zu werden?«
»Indem du Diomedes dazu aufrüstest, Trojaner abzuschlachten«, sagt Ares. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass die Locken des hoch gewachsenen, muskulösen Gottes eine rötliche Tönung haben. »Was du da machst, ist gefährlich, Pallas Athene.«
Die Göttin lacht leise. »Wir greifen seit neun Jahren in diese Schlacht ein. Das ist unser Spiel, Himmel noch mal. Unsere einzige Beschäftigung. Ich weiß, dass du vorhast, heute noch zugunsten deines geliebten Ilium einzugreifen und meine Argeier wie Schafe abzuschlachten. Ist das nicht gefährlich – diese aktive Teilnahme des Kriegsgottes?«
»Weniger gefährlich, als die eine oder andere Seite mit Nanotechnik zu bewaffnen. Weniger gefährlich, als sie mit Phasenverschiebungsfeldern auszustatten. Was denkst du dir eigentlich dabei, Athene? Du bist drauf und dran, diese Sterblichen in uns zu verwandeln – in Götter.«
Athene lacht erneut, setzt jedoch eine ernste Miene auf, als sie merkt, dass ihr Lachen Ares nur noch wütender macht. »Ich habe Diomedes nur kurzfristig aufgerüstet, Bruder, das weißt du. Ich will lediglich, dass er diese Begegnung überlebt. Aphrodite, deine Lieblingsschwester, hat den trojanischen Bogenschützen Pandaros bereits dazu gebracht, einen meiner Lieblinge zu verwunden – Menelaos –, und während wir uns hier unterhalten, flüstert sie dem Bogenschützen ins Ohr: Bring Diomedes um.«
Ares zuckt die Achseln. Ich weiß, dass Aphrodite seine Verbündete und die treibende Kraft der beiden ist. Wie ein schmollender kleiner Junge – ein zweieinhalb Meter großer schmollender kleiner Junge mit pulsierendem Energiefeld – sucht er einen glatten Stein und lässt ihn über das Wasser titschen. »Was macht es schon aus, ob Diomedes heute oder nächstes Jahr stirbt? Er ist ein Sterblicher. Er wird sterben.«
Jetzt lacht Athene frei heraus. »Natürlich wird er sterben, mein lieber Bruder. Und natürlich ist das Leben oder der Tod eines einzelnen Sterblichen für uns … für mich ohne Belang. Aber wir müssen das Spiel spielen. Ich werde nicht zulassen, dass Aphrodite, diese elende kleine Nutte, den Willen der Schicksalsgöttinnen zuwider handelt.«
»Wer von uns kennt den Willen der Moiren schon?«, faucht Ares, immer noch schmollend, die Arme vor der mächtigen Brust verschränkt.
»Vater.«
»Das behauptet er«, sagt der Gott des Krieges mit einem höhnischen Grinsen.
»Zweifelst du etwa an unserem Herrn und Meister?« Athenes Ton klingt fast täuschend leicht und neckisch.
Ares schaut sich rasch um, und eine Sekunde lang fürchte ich, ich hätte mich auf dem flachen Felsbrocken, auf dem ich stehe, um nur ja keine Spuren im Sand zu hinterlassen, durch ein Geräusch verraten. Aber der Blick des Kriegsgottes schweift weiter.
»O nein, ich respektiere unseren Vater«, sagt Ares schließlich. Sein Ton erinnert mich an den von Richard Nixon, als er im Oval Office in das ihm bekannte versteckte Mikrofon sprach. Um seine Lügen zu dokumentieren. »Meine Treue, Loyalität und Liebe gelten Zeus, Pallas Athene.«
»Was unser Vater gewiss merken und dir vergelten wird«, erwidert Athene, ohne ihren Sarkasmus noch länger zu verbergen.
Auf einmal hebt Ares ruckartig den Kopf. »Hol dich der Teufel«, ruft er. »Du hast mich nur hergebracht, um mich vom Schlachtfeld fern zu halten, während deine verfluchten Achäer noch mehr von meinen Trojanern umbringen.«
»Natürlich.« Athene schleudert ihm die drei Silben in höhnischem Ton entgegen, und ich denke einen Moment lang, dass ich gleich etwas mitansehen werde, was ich in meinen ganzen neun Jahren hier noch nicht erlebt habe – einen direkten Kampf zweier Götter.
Stattdessen kickt Ares in einer letzten Aufwallung von Ärger Sand in die Luft und qtet von dannen. Athene lacht, kniet am Skamandros nieder und spritzt sich kaltes Wasser ins Gesicht. »Dummkopf«, sagt sie leise – vermutlich spricht sie mit sich selbst, aber mir ist, als wäre ich gemeint, der ich nur vom Verzerrungsfeld des Hades-Helms geschützt bin. »Dummkopf« scheint mir ein zutreffendes Urteil über mein törichtes Benehmen zu sein.
Athene qtet zum Schlachtfeld zurück. Eine Minute lang wird mir angst und bange wegen meiner Dummheit, aber dann gehe ich in die Phasenverschiebung und folge ihr.
Die Griechen und Trojaner bringen sich immer noch gegenseitig um. Sensationelle Neuigkeit.
Ich mache den einzigen
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