Ilium
wäre – rein gar nichts bedeuten.
Jetzt greifen sämtliche Götter ins Geschehen ein.
Hera und Athene flimmern wieder ins Dasein; Zeus’ Gemahlin drängt Athene erkennbar, sich am Kampf zu beteiligen. Athene leistet keinen Widerstand. Hebe, die Göttin der Jugend und Dienerin der älteren Götter, saust in einem fliegenden Streitwagen herab; Hera ergreift die Zügel und Athene springt ebenfalls auf, legt ihr Gewand ab und schnallt sich den Brustharnisch um. Athenes Panzerhemd schimmert. Sie hebt einen knisternden, leuchtend gelben und rot pulsierenden Energieschild, und ihr Schwert schickt Blitzstrahlen zur Erde.
»Schauen Sie!«, ruft Nightenhelser mir über den Kampfeslärm hinweg zu. Im Norden zucken echte Blitze, und eine sich emportürmende Bank dunkler Stratokumuluswolken ragt zwölftausend Meter oder höher in den heißen Nachmittagshimmel. Auf einmal nimmt die Wolke die Gestalt und das Antlitz von Zeus an.
»AUF DENN, WEIB UND TOCHTER«, donnert es aus diesem Gewitterturm. »FINDE HERAUS, ATHENE, OB DU DEM KRIEGSGOTT EBENBÜRTIG BIST. BRING IHN ZU FALL, WENN DU KANNST!«
Tief hängende schwarze Wolken brodeln über dem Schlachtfeld, Regen und Blitze prasseln auf Trojaner und Argeier gleichermaßen hernieder.
Hera schießt mit dem Streitwagen im Tiefflug über die Köpfe der Griechen hinweg und geht dann noch ein wenig tiefer, mäht die Trojaner nieder wie Kegel aus Leder und Bronze.
Athene springt auf einen echten Streitwagen zu dem erschöpften, blutbesudelten Diomedes und seinem getreuen Lenker Sthenelos hinunter. » War das schon alles für diesen Tag, Sterblicher?«, schreit sie Diomedes an, und das letzte Wort trieft vor Sarkasmus. » Wie wenig gleichst du deinem Vater, dass du innehältst, wenn deine Gegner derart das Feld beherrschen?« Sie zeigt auf den Frontabschnitt, wo Hektor und Ares gerade die Griechen zurücktreiben.
»Göttin«, keucht Diomedes, »der unsterbliche Ares beschützt Hektor, und …«
»BESCHÜTZE ICH DICH ETWA NICHT?«, brüllt Athene, die – viereinhalb Meter groß und weiter wachsend – über Diomedes aufragt, dessen Glanz zunehmend verblasst.
»Schon, Göttin, aber …«
»Diomedes, du meiner Seele Geliebter, erschlage diesen Trojaner und den Gott, der ihn beschützt!«
Diomedes macht ein verblüfftes, ja erschrockenes Gesicht. »Wir Sterblichen dürfen keinen Gott töten …«
»Wo steht das geschrieben?«, dröhnt Athene. Sie beugt sich über Diomedes und injiziert ihm etwas Neues, lässt Energie aus ihrem persönlichen Götterfeld in seines fließen. Die Göttin packt den unglücklichen Sthenelos und wirft ihn aus dem Wagen, so dass er zehn Meter weit durch die Luft fliegt. Sie ergreift die Zügel von Diomedes’ Streitwagen und treibt die Pferde mit der Peitsche voran, direkt auf Hektor, Ares und das gesamte trojanische Heer zu.
Diomedes hebt seine Lanze, als hätte er wirklich und wahrhaftig vor, einen Gott zu töten.
Und Aphrodite will mich benutzen, um ihrerseits Athene zu töten, denke ich, und mein Herz rast vor Aufregung und Furcht. Womöglich nehmen die Dinge hier auf der Ebene von Ilium bald einen ganz anderen Verlauf, als Homer vorausgesagt hat.
12
Über dem Asteroidengürtel
Das Schiff begann mit dem Bremsmanöver, sobald es die Magnetosphäre des Jupiter verlassen hatte, sodass es für den großen ballistischen Bogen über die Ebene der Ekliptik zum Mars auf der anderen Seite der Sonne nicht Stunden, sondern mehrere Standardtage brauchen würde. Das war gut für Mahnmut und Orphu von Io, weil sie eine Menge zu besprechen hatten.
Kurz nach ihrem Aufbruch verkündeten Ri Po und Koros III. im vorderen Kontrollmodul, sie würden nun das Borsegel ausfahren. Mahnmut beobachtete über die Sensoren des Schiffes, wie sich das kreisrunde Segel entfaltete, von acht Buckyseilen gehalten, in sieben Kilometer Entfernung hinter ihnen herschwebte und sich dann zu seinem vollen Fünf-Kilometer-Radius aufblähte. Für Mahnmut sah es durch die Objektive der Heckkameras aus wie ein aus dem Sternenfeld geschnittener schwarzer Kreis.
Orphu von Io verließ seine Krippe am Rumpf und krabbelte wie ein Königskrabben-Quasimodo das Hauptseil entlang, über den Solenoid-Torus und dann an den Halteseilen hinaus, prüfte alles, zupfte an allem, schoss sich mit seinen Steuerdüsen über die Segelfläche hinweg und suchte nach Löchern, Rissen oder Defekten. Als er keine Mängel fand, kehrte er zum Schiff zurück. In der Schwerelosigkeit waren seine Bewegungen von
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