Ilium

einer seltsamen, gebieterischen Eleganz.
    Koros III. gab Anweisung, die modifizierte Matloff-Fennelly-Magnetschaufel zu aktivieren, und Mahnmut spürte und zeichnete auf, wie sich die Schiffsenergien änderten, als das Gerät am Bug ein Schaufelfeld mit einem Radius von 1400 Kilometern erzeugte, freie Ionen sammelte und sich darauf konzentrierte, den Sonnenwind einzufangen.
    Wie lange dauert es, damit so weit abzubremsen, dass wir beim Mars zum Stillstand kommen?, fragte Mahnmut auf dem gemeinsamen Kanal. Er dachte, Orphu würde ihm antworten.
    Stattdessen meldete sich jedoch der herrische Koros III. Bei sinkender Geschwindigkeit des Schiffes und wachsendem Wirkungsbereich der Schaufel, wobei die Segeltemperatur den Schmelzpunkt von zweitausend Grad Kelvin nicht übersteigen darf, beträgt die Masse des Schiffes 4x10 hoch 6. Folglich wird das Manöver, mit dem wir unsere gegenwärtige Geschwindigkeit von 0,1992 c auf 0,001 c – den Punkt des unelastischen Stoßes – reduzieren, 23,6 Standardjahre dauern.
    Dreiundzwanzig Komma sechs Standardjahre!, rief Mahnmut auf dem gemeinsamen Kanal. Das war mehr Zeit für Gespräche, als er erwartet hatte.
    Dadurch würden wir allerdings nur auf eine immer noch beträchtliche Geschwindigkeit von dreihundert Kilometern pro Sekunde abbremsen, sagte Koros III. Ein Tausendstel Lichtgeschwindigkeit an unserem Zielpunkt im inneren Planetensystem ist nicht gerade wenig.
    Klingt, als würde es eine harte Landung auf dem Mars werden, sagte Mahnmut.
    Orphu ließ ein rumpelndes Schnauben hören.
    Der callistanische Navigator meldete sich zu Wort. Wir sind nicht nur auf die Bremswirkung des Ionen-Borsegels angewiesen, Mahnmut. In Wirklichkeit dauert die Reise nicht ganz elf Standardtage. Und unsere Geschwindigkeit beim Eintritt in den Marsorbit wird weniger ah sechs Kilometer pro Sekunde betragen.
    Schon besser, sagte Mahnmut. Er befand sich in der Kontrollwiege der Dark Lady, aber all seine vertrauten Sensoren und Anzeigen waren dunkel. Es war seltsam, alle Daten außer denen des eigenen Lebenserhaltungssystems von den Sensoren des größeren Schiffes zu bekommen. Woran liegt das?
    Am Sonnenwind, sagte Orphu über die feste Kabelverbindung zur Rumpfkrippe. Seine Geschwindigkeit beträgt hier draußen durchschnittlich dreihundert Kilometer pro Sekunde, und er hat eine Ionendichte von zehn hoch sechs Protonen pro Kubikmeter. Wir sind mit einer halben Tankfüllung Jupiter-Wasserstoff und einer Viertel Tankfüllung Deuterium gestartet, und mit der Matloff-Fennelly-Schaufel werden wir aus dem Sonnenwind noch mehr Wasserstoff und Deuterium gewinnen. Nach dem Vorbeiflug an der Sonne zünden wir die vier Fusionstriebwerke am Bug. Dann beginnt das eigentliche Bremsmanöver.
    Ich kann’s gar nicht erwarten, sagte Mahnmut.
    Ich auch nicht, erwiderte Orphu von Io. Er gab wieder das rumpelnde Schnauben von sich. Mahnmut dachte, dass der riesige Moravec entweder gar keinen oder einen äußerst scharfen Sinn für Ironie hatte.
     
    Während das Schiff in einer Höhe von rund 140 Millionen Kilometern über den Asteroidengürtel hinwegflog, las Mahnmut A la recherche du temps perdu, Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.
    Orphu hatte die französische Sprache in all ihren klassischen Feinheiten zusammen mit dem Roman und biografischen Informationen über Proust heruntergeladen, aber Mahnmut las das Buch schließlich in fünf englischen Übersetzungen, denn Englisch war die untergegangene Sprache, auf die er sich bei seinen Studien in den vergangenen anderthalb E-Jahrhunderten konzentriert hatte, und er fühlte sich wohler, wenn er Literatur darin beurteilte. Orphu hatte geschmunzelt, als er das hörte, und den kleineren Moravec daran erinnert, dass es ein Fehler war, Proust mit Mahnmuts geliebtem Shakespeare zu vergleichen, da sie in ihrer Substanz so verschieden waren wie ihre eigenen, vertrauten Jupitermonde und die steinige, terraformte Welt im inneren Planetensystem, zu der sie unterwegs waren, aber Mahnmut las das Werk trotzdem noch einmal auf Englisch.
    Als er fertig war, konnte er es gar nicht erwarten, in den Dialog einzutreten, obwohl er wusste, dass es nur eine kursorische Mehrfachlektüre gewesen war. Darum nahm er Kontakt zu Orphu auf – per Engstrahl, weil der ionische Moravec sich gerade nicht in seiner Krippe befand; er prüfte wieder die Borsegelseile. Weil das Schiff immer stärker abbremste, war er diesmal mit Halteleinen gesichert.
    Ich weiß nicht, sagte Mahnmut. Ich seh’s