Ilium
sie in Athenes Planckfeld mit einbezogen ist, durchstößt die menschliche Waffe zuerst das Kraftfeld des Kriegsgottes, dann den reich verzierten Leibschurz des Kriegsgottes und schließlich die göttlichen Gedärme des Kriegsgottes.
Gegen den Schmerzensschrei, den Ares nun ausstößt, ist Aphrodites vorheriges welterschütterndes Kreischen nur ein Flüstern. Ich erinnere mich, dass Homer diesen Laut so beschrieb: »Da brüllte der eherne Ares so laut, wie neuntausend Männer oder zehntausend schreien im Krieg, wenn des Ares Streit zusammen sie führen.« Wie sich herausstellt, ist das diesmal eine Untertreibung. Zum zweiten Mal an diesem blutigen Tag erstarren beide Heere mitten im grimmigen Geschäft ihres Gemetzels aus sterblicher Furcht angesichts solch göttlichen Lärms. Selbst der edle Hektor, der momentan auf nichts Edleres sinnt als darauf, sich mit dem Schwert seinen Weg durch Argeierfleisch zu bahnen, um den zurückweichenden Odysseus zu töten, hält inne und schaut zu dem blutgetränkten Stück Boden hinüber, wo Ares verwundet worden ist.
Diomedes springt von seinem von Athene gelenkten Streitwagen, um Ares den Todesstoß zu versetzen, aber der Kriegsgott, der sich immer noch in göttlichen Schmerzen windet, verändert sich, wächst, verwandelt sich, verliert seine menschliche Gestalt. Die Luft um Diomedes und die wogende Menge der anderen Griechen und Trojaner, die über Periphas’ mittlerweile vergessenem Leichnam kämpfen, ist plötzlich voller Erde, Steine, Stoff- und Lederfetzen, als Ares seine göttlich-menschliche Gestalt ablegt und … etwas anderes wird. Wo noch vor einer Minute der noch gewachsene Gott Ares gestanden hat, erhebt sich nun ein rotierender Zyklon aus schwarzer Plasmaenergie, dessen statische Elektrizität sich in willkürlichen Blitzstrahlen entlädt, die Argeier und Trojaner gleichermaßen treffen.
Diomedes bricht seinen Angriff ab und weicht zurück. Die Wut des Zyklons zügelt seinen Blutdurst einstweilen.
Dann ist Ares fort, er qtet davon und hält seine Eingeweide dabei nur mit seinen ichor-blutigen Händen im Leib, und die anhaltende Erstarrung auf dem Schlachtfeld erweckt fast den Eindruck, als hätten die Götter wieder die Zeit angehalten. Aber nein – die Vögel fliegen noch, der Staub legt sich noch, die Luft bewegt sich noch. Diese Reglosigkeit ist Ehrfurcht, nicht mehr und nicht weniger.
»Haben Sie so was schon mal gesehen, Hockenberry?« Nightenhelsers Stimme überrascht mich. Ich hatte seine Anwesenheit ganz vergessen.
»Nein«, sage ich. Wir stehen einen Moment lang schweigend da, bis der Kampf auf Leben und Tod von neuem beginnt, bis Athenes getarnte Gestalt aus Diomedes’ weiterrasendem Streitwagen verschwindet, und dann entferne ich mich von dem anderen Scholiker. »Ich morphe – mal sehen, wie die königliche Familie auf den Mauern von Ilium das aufnimmt«, erkläre ich Nightenhelser, bevor ich aus seinem Blickfeld verschwinde.
Ich morphe auch wirklich, aber es ist nur eine List, um mein wahres Verschwinden zu kaschieren. Im Schutz des Staubes und der Verwirrung in den trojanischen Reihen ziehe ich mir den Helm des Todes über den Kopf, aktiviere das Medaillon und qte hinter dem verwundeten Ares her, folge seiner Quantenspur durch den verzerrten Raum zum Olymp.
Ich komme nicht auf den Rasenflächen des Olymp und auch nicht in der Halle der Götter aus der Quantenverschiebung heraus, sondern in einem riesigen Raum, der eher dem Operationszentrum eines Krankenhauses aus dem späten 20. Jahrhundert ähnelt als irgendeiner Räumlichkeit, die ich auf den Olymp gesehen habe. Gruppen von Göttern und anderen Geschöpfen bevölkern den steril wirkenden Raum, und nach der Phasenverschiebung halte ich – wieder einmal – eine halbe Minute lang die Luft an, während ich mit klopfendem Herzen abwarte, ob diese Götter und ihre Lakaien meine Anwesenheit entdecken können.
Offenbar nicht.
Ares sitzt auf einer Art Untersuchungstisch. Drei humanoide, aber nicht ganz menschliche Wesen oder Konstrukte stehen um ihn herum und kümmern sich um ihn. Die Kreaturen könnten Roboter sein – obwohl sie schlanker, organischer und fremdartiger aussehen als alle Roboter, von denen man zu meiner Zeit geträumt hat –, und ich sehe, dass eine ihn an den Tropf hängt, während eine andere einen leuchtenden, ultravioletten Strahl über Ares’ aufgeschlitzten Bauch wandern lässt.
Der Kriegsgott hält seine Gedärme noch immer mit den blutigen Händen umklammert. In
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