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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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alles Mythen. Oder, weniger höflich ausgedrückt: Es ist Quatsch.«
    Harman öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Daeman kam ihm zuvor. »Ich war gerade dort«, sagte er mit zorniger Stimme. »In der Klinik. In den Ringen.«
    »In der Klinik, ja«, erwiderte Savi. »Aber du wurdest nicht von Nachmenschen geheilt. Falls sie dort oben sind, scheren sie sich keinen Deut um euch. Aber ich glaube nicht, dass sie noch dort oben sind.«
    Die vier standen auf der rostigen Turmspitze, mehr als hundertfünfzig Meter über der zerstörten Fahrbahn, fast zweihundertfünfzig Meter über dem grasbewachsenen Sattel und den Steinruinen. Der Wind, der von den höheren Gipfeln herabkam, schlug auf sie ein und blies ihnen in die Haare.
    »Nach unserem letzten Zwanziger fahren wir zu den Nachmenschen auf…«, begann Hannah mit schwacher Stimme.
    Savi lachte und führte sie zu einer unregelmäßig geformten Glaskugel, die den westlichen Rand der uralten Turmspitze überwölbte.
     
    Es gab Zimmer, Vorzimmer, abwärts führende Treppen, stehende Rolltreppen und kleinere Kammern, die von den Haupträumen abgingen. Ada fand es seltsam, dass der Himmel, die orangefarbenen Türme, die Hängekabel sowie der Dschungel und die Fahrbahn unten, die hin und wieder sichtbar wurden, ebenso wenig durch das Material grün getönt waren wie das hereinströmende Sonnenlicht – irgendwie ließ das grüne Glas die Farben ungefiltert durch.
    Savi führte sie durch dünne Röhren, die im starken Wind hätten schwanken müssen, es aber nicht taten, von einem grünen Modul zum nächsten darunter oder daneben liegenden, von einer Seite des zweiästigen Turms zur anderen. Manche Räume erstreckten sich zehn, zwölf Meter über den Rand des Turms hinaus, und Ada hatte keine Ahnung, wie die grüne Kugel am Beton und am Stahl befestigt war.
    Einige der Räume waren leer. Andere enthielten – Artefakte. In einem hob sich eine Reihe von Tierskeletten silhouettenartig gegen die Kammlinie der Berge ab. In einem anderen standen Objekte, bei denen es sich um Nachbildungen von Maschinen zu handeln schien, in Ausstellungsvitrinen oder hingen an Drähten. In einem weiteren sahen sie Plexiglaswürfel mit den Föten v on hundert Geschöpfen – keines von ihnen ganz, aber etliche auf beunruhigende Weise beinahe menschlich. Und in einem vierten wanderten verblichene Hologramme von Sternenfeldern und Ringfeldern über und durch die Betrachter.
    »Was ist das hier?«, fragte Harman.
    »Eine Art Museum«, antwortete Savi. »Ich glaube, die meisten wichtigen Ausstellungsstücke fehlen.«
    »Wer hat es geschaffen?«, fragte Hannah.
    Savi zuckte die Achseln. »Die Nachmenschen nicht, glaube ich. Ich weiß es nicht. Aber ich bin ziemlich sicher, dass sich die Brücke – oder das Original dieser Brücke, es kann eine Nachbildung sein – einmal über ein Gewässer in der Nähe einer Stadt des Untergegangenen Zeitalters spannte, an der damaligen Westküste des Kontinents nördlich von hier. Hast du von so etwas gehört, Harman?«
    »Nein.«
    »Vielleicht habe ich es nur geträumt«, sagte Savi mit einem kläglichen Lachen. »Nach all diesen verschlafenen Jahrhunderten spielt mir mein Gedächtnis manchmal einen Streich.«
    »Du hast schon einmal erwähnt, dass du die Jahrhunderte hindurch geschlafen hast«, sagte Daeman in brüskem Ton, wie Ada fand. »Was meinst du damit?«
    Savi hatte sie eine lange Wendeltreppe in der Röhre aus grünem Glas hinuntergeführt, die sich zwischen den Hängekabeln spannte, und nun zeigte sie auf eine Reihe von Gebilden, die wie gläserne Särge aussahen. »Eine Art Kryoschlaf«, sagte sie. »Nur nicht kalt – was albern ist, weil ›kryo‹ ursprünglich genau das bedeutet hat. Einige dieser Kokons funktionieren noch; sie frieren die Molekularbewegung ein. Nicht durch Kälte, sondern durch eine Mikrotechnik, die ihre Energie von der Brücke bezieht.«
    »Von der Brücke?«, sagte Ada.
    »Das ganze Ding ist ein Sonnenenergiekollektor«, erklärte Savi. »Zumindest die grünen Teile.«
    Ada schaute auf die staubigen Glassärge und versuchte sich vorzustellen, wie sie in einem einschlief und wartete … wie lange? Jahre, bis sie wieder erwachte? Jahrzehnte? Jahrhunderte? Sie fröstelte.
    Savi sah sie an, und Ada errötete. Aber Savi lächelte. Diesmal ein ehrlich amüsiertes Lächeln, dachte Ada.
    Sie stiegen zu einem langen grünen Glaszylinder hinauf. Er hing von einem ausgefransten, rostigen Tragkabel herab, das dicker war als Harman groß.

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