Illuminati
Sonnenanbetern Anleihen gemacht. Das Ritual der Heiligsprechung beispielsweise ist den alten›Gottwerdungsritualen‹des Euhemerismus entliehen, und die Praxis des ›Gott-Essens‹ entstammt dem Mithra-Kult und geht auf Zarathustra zurück. Nicht einmal das Konzept, dass Christus für unsere Sünden starb, ist exklusiv; das Selbstopfer eines jungen Mannes, um die Sünden seines Stammes auf sich zu nehmen, reicht bis in die früheste Zeit zurück.«
Die junge Frau funkelte ihn wütend an. »Ist denn überhaupt etwas am Christentum echt?«
»Es ist eine Tatsache, dass jede organisierte Religion nur wenig Echtes besitzt. Religionen entstehen nicht aus dem Nichts. Sie entstehen auseinander. Moderne Religionen sind ein Sammelsurium… eine historische Abfolge, welche die Suche des Menschen nach göttlichem Verständnis widerspiegelt.«
»Äh… einen Augenblick bitte!«, rief Hitzrot, der mit einem Mal hellwach wirkte. »Ich weiß etwas, das ursprünglich christlich ist! Oder was sagen Sie zu unserem Bild von Gott? Christliche Kunst porträtiert Gott niemals als Falken oder Sonne oder sonst irgendetwas, sondern stets als alten Mann mit langem, weißem Bart. Also ist unser Bild von Gott ursprünglich, richtig?«
Langdon lächelte erneut. »Als die frühen Christen ihre alten Gottheiten aufgaben – heidnische Götter, römische Götter, griechische Götter –, wollten sie von der Kirche wissen, wie ihr neuer Gott denn aussieht. Und die Kirche wählte in kluger Umsicht das meistgefürchtete, weiseste, mächtigste und vertrauteste Gesicht in der Geschichte der heidnischen Götter.«
Hitzrot schien skeptisch. »Ein alter Mann mit einem weißen Rauschebart?«
Langdon deutete auf die Hierarchie der griechischen Götter auf einer Wandtafel. Zuoberst saß ein Mann mit weißem, langem Bart. »Kommt Ihnen Zeus ‘nicht irgendwie bekannt vor?«
Das Klingelzeichen beendete die Stunde wie auf ein Stichwort.
»Guten Abend«, sagte eine Männerstimme.
Langdon zuckte zusammen. Er war wieder im Pantheon. Er wandte sich um und sah sich einem älteren Mann gegenüber, der ein blaues Cape mit einem roten Kreuz auf der Brust trug. Er lächelte Langdon an und entblößte eine Reihe vergilbter Zähne.
»Sie sind Engländer, habe ich Recht?« Der Mann sprach mit starkem toskanischem Akzent.
Langdon blinzelte verwirrt. »Offen gestanden, nein. Ich bin Amerikaner.«
Der Mann blinzelte verlegen. »Oh, bitte verzeihen Sie. Sie waren so schick gekleidet, und da dachte ich… bitte entschuldigen Sie.«
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Langdon mit wild pochendem Herzen.
»Offen gestanden, dachte ich eigentlich, ich könnte Ihnen helfen. Ich bin der Cicerone, wissen Sie?« Der Mann deutete stolz auf sein Abzeichen, das ihn als städtischen Fremdenführer auswies. »Meine Aufgabe besteht darin, Ihren Aufenthalt in Rom so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten.«
Noch abwechslungsreicher?, dachte Langdon. Eigentlich war sein Aufenthalt in Rom durchaus kurzweilig genug.
»Sie sehen wie ein gebildeter Mann aus«, schmeichelte der Führer. »Ohne Zweifel haben Sie größeres Interesse an der Kultur als viele andere. Vielleicht darf ich Ihnen ein wenig über die Geschichte dieses faszinierenden Bauwerks erzählen?«
Langdon lächelte freundlich. »Das ist sehr nett von Ihnen, doch ich bin, offen gestanden, selbst Kunsthistoriker und weiß…«
»Ausgezeichnet!« Die Augen des Fremdenführers leuchteten auf, als hätte er sechs Richtige im Lotto. »Dann wissen Sie dieses Gebäude ohne Zweifel zu würdigen!«
»Ich denke, ich würde lieber…«
»Das Pantheon…«, erklärte der Mann und begann seinen einstudierten Vortrag, »wurde im Jahre siebenundzwanzig vor Christus von Marcus Agrippa gebaut…«
»Ja«, unterbrach ihn Langdon. »Und Hadrian errichtete es 119 nach Christus neu.«
»Es war bis ins Jahr 1960 die weltgrößte freitragende Kuppelkonstruktion. Erst das Superdome in New Orleans war größer.«
Langdon stöhnte auf. Der Mann ließ sich nicht unterbrechen.
»Ein Theologe des fünften Jahrhunderts nannte das Pantheon das Haus des Teufels, und er glaubte, das Loch in der Kuppel sei der Eingang für Dämonen.«
Langdon hörte ihm nicht mehr zu. Er richtete den Blick nach oben, und das erste von Vittoria vorgeschlagene Szenario stieg vor seinem geistigen Auge auf… ein gebrandmarkter Kardinal, der schreiend durch das Loch stürzte und auf dem Marmorboden aufschlug. Das wäre wirklich ein Ereignis, auf das die Medien
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