Illuminatus 1 - Das Auge in der Pyramide
macht natürlich auch heute noch die Lehre der Satanisten aus.»
«Und», fragte Saul, bereits ahnend, welches die Antwort sein würde, «was hat das ganze Zeug mit Atomenergie zu tun?»
«Mit Atomenergie? Überhaupt nichts... zumindest nichts, soweit ich sehen kann...»
«Warum wird Satan der Lichtbringer genannt?» blieb Saul dran, überzeugt, dass er sich auf der rechten Spur befand.
«Die Manichäer lehnen das physikalische Universum ab», sagte der Pater bedächtig. « Sie sagen, dass der wahre Gott, ihr Gott, sich niemals herablassen würde, sich mit Materie zu befassen. Den Gott, der die Welt schuf - unseren Gott, Jehova - nennen sie Panurgia, was eher den Beigeschmack einer blindwütig verschlagenen Macht hat, als die Bedeutung eines wirklich intelligenten Wesens. Das Reich, das ihr Gott beherrscht, ist der reine Geist reinen Lichts. Deshalb wird er der Lichtbringer genannt und unser Universum wird immer als das Reich der Dunkelheit erwähnt. Aber injenen
Tagen wusste man noch nichts über Atomenergie, oder?» Der letzte Satz hatte als ein Statement begonnen und endete als Frage.
«Das ist es ja, was ich mich frage», sagte Saul. «Atomkraft birgt unendlich viel Licht in sich, oder nicht? Und sie würde das Eschaton bestimmt immanentisieren, wenn ausreichend Energie auf einen Schlag freigesetzt würde?»
«Fernando Poo!» rief der Priester aus. «Steht das etwa in Zusammenhang mit Fernando Poo?»
«Da habe ich auch schon dran denken müssen», sagte Saul, «auch frage ich mich, ob wir unser Gespräch nicht schon viel zu weit ausgedehnt haben. Wenn dieses Telefon hier nicht angezapft ist... Also Pater, erstmal vielen Dank.»
«Gern geschehen; obwohl ich nicht sicher bin, wieweit Sie damit kommen», sagte der Pater. «Wenn Sie sich vorstellen, dass Satanisten die Regierung der Vereinigten Staaten kontrollieren, werden Ihnen ein paar Priester gewiss beipflichten, insbesondere die Berrigan Brothers; aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das eine Angelegenheit für die Polizei sein sollte. Betreibt die New Yorker Polizei inzwischen schon eine Abteilung ?»
«Mach dir nichts draus», sagte Barney leise. «Was sein Dogma angeht, so ist er sehr zynisch, wie die meisten Kirchenleute heutzutage.»
«Ich hab's gehört», sagte der Pater. «Mag stimmen, dass ich zynisch bin, aber ich denke nicht, dass Satanismus eine Sache ist, über die man Witze reissen sollte. Und die Theorie deines Freundes leuchtet mir in gewisser Weise sehr ein. Immerhin fand die Motivation der Satanisten, die Kirche zu infiltrieren, in den letzten Tagen ihren Ausdruck in eben dieser Institution, die Gott auf Erden repräsentieren soll. Nun gut, und heute erhebt die Regierung der Vereinigten Staaten denselben Anspruch... Das mag witzig oder paradox erscheinen, aber die sind nun mal ganz vernarrt in den Ge -danken. Ich bin professioneller Zyniker, wie es ein Theologe heutzutage sein muss, wenn er in den Augen der skeptischen Leute nicht ganz und gar als ein Narr erscheinen will, aber was die Inquisition betrifft, bin ich ein Orthodoxer, oder, wenn Sie so wollen, ein Reaktionär. Natürlich habe ich alle rationalistischen Historiker gelesen und es steht fest, dass es in jenen Tagen ein Element der Hysterie in der Kirche gab, aber dennoch ist der Satanismus noch immer nicht weniger furchteinflössend als Krebs oder die Pest. Der Satanismus ist gegenüber menschlichem Leben feindselig eingestellt, eigentlich allem Leben. Die Kirche hatte allen Grund, ihn zu fürchten. Genauso wie Leute, die alt genug sind, sich daran zu erinnern, panische Angst vor jedem Zeichen eines Wiederaufkommens des Hitlerismus haben.»
Saul musste an die rätselhaften, ausweichenden Sätze von Eliphas Levi denken: «Die monströse Gnosis von Manes... der Kult des materiellen Feuers...» Und vor nunmehr fast zehn Jahren versammelten sich die Hippies vor dem Pentagon, steckten Blumen in die Gewehrläufe der M.P.s und sangen, «Vade, Dämon, Vade!»... Hiroshima ... das Weisse Licht des Alls...
«Warten Sie», sagte Saul. «Wie verhält es sich mit dem Töten, ist es mehr als nur eine Idee? Bedeutet das Töten nicht eine mystische Erfahrung für die Satanisten?»
«Natürlich», erwiderte der Pater. «Da liegt der springende Punkt - was sie wollen ist die Gnosis, persönliche Erfahrung, kein Dogma, ein Begriff, den sie anderen überlassen. Die Rationalisten greifen ein Dogma immer an, weil es in ihren Augen Fanatismus schafft, aber die
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