Illuminatus 2 - Der goldene Apfel
daß er nicht länger warten wird; Atlantis ist zu schlecht und unwürdig, gerettet zu werden, und er wird es zerstören. Auf einer windgepeitschten Ebene im Norden des atlantischen Kontinents wird eine riesige, tränenförmige Rakete mit zierlichen Leitflossen auf einer Abschußrampe in Stellung gebracht. Gruad befindet sich im Kontrollraum und trifft die letzten Vorkehrungen für den Start, während Kajeci und Wo Topod ihm etwas auszureden versuchen. Gruad sagt: «Die menschliche Rasse wird überleben. Von den Atlantern befreit, wird sie besser überleben, denn sie sind nichts als Schweine, Roboter, nichts als Kreaturen, die Gut und Böse nicht verstehen können. Mögen sie vernichtet werden.» Sein Finger drückt einen roten Knopf, und die Rakete hebt ab und rast in Richtung Sonne davon. Sie wird einige Tage brauchen, ihr Ziel zu erreichen, und in der Zwischenzeit hat Gruad den Ungebrochenen Kreis in einem Luftschiff um sich geschart und fliegt mit seinen Getreuen weg von Atlantis, weg in ein riesiges Gebirge im Osten, in eine Region, die eines Tages Tibet genannt werden sollte. Gruad hat ausgerechnet, daß sie zum Zeitpunkt, da die Rakete auf die Sonne auftrifft, alle gelandet sind und für zwei Stunden in unterirdischen Höhlen abwarten werden. Die Sonne zieht blendend goldgelb über die Landschaft von Atlantis. Es ist ein strahlend schöner Tag in Zukong Gimorlad-Siragosa, die Sonne scheint auf die schlanken, anmutigen Türme, die von sich spinnennetzartig windenden Brücken mit Parks, Tempeln, Museen, wunderbaren öffentlichen Gebäuden und herrlichen Privatpalästen verbunden werden. Ihre anmutigen, in dichtes Fell gehüllten Bewohner schlendern inmitten all dieser Schönheit der ersten und schönsten Zivilisation, die die Menschheit jemals hervorgebracht, einher. Familien, Liebende, Freunde und Feinde genießen das Leben, ohne zu ahnen, welches Unglück sie erwartet. Ein Quintett spielt auf dem melodiösen Zinthron, der Balatet, dem Mordan, der Swaz und dem Fendrar. Überall aber liegt der furchterregende, flammendrote Blick des großen Auges von der Spitze von Gruads Pyramide. Dann, ganz plötzlich, beginnt der Sonnenkörper zu wüten. Spiraliges Feuer, kugelförmige Gaswolken brechen aus. Die Sonne sieht aus wie ein gigantisches, feuriges, spinnenartiges Wesen, wie ein Oktopus. Eine riesengroße Flamme rollt der Erde entgegen; brennendes rotes Gas wird gelb, dann grün, dann blau, dann weiß. Von Zukong Gimorlad-Siragosa bleibt nichts übrig außer der Pyramide, deren oberes Segment nun, da die Antigravitations-Ge-neratoren zerstört sind, auf der Basis ruht. Das unheilverkündende Auge blickt jetzt über eine absolut flache, schwarzverbrannte Ebene. Die Erde zittert, große Risse öffnen sich. Das vernichtete Gebiet liegt kreisförmig da, mit einem Durchmesser von vielen 100 Kilometern, jenseits dessen sich dunkelbraunes Ödland erstreckt. Tausende von Spalten und Rissen öffnen sich auf der bröckligen Oberfläche des ganzen Kontinents, dessen Felsgestein von der unglaublichen Hitze des Sonnenfeuers jede Kraft genommen wurde. Eine Schlammflut kriecht langsam über die öde Ebene. Sie läßt nur den Gipfel der Pyramide mit dem Auge sichtbar. Wasser bricht über dem Schlamm ins Land, zuerst versickert es noch, dann steht es in Lachen, dann steigt es an, und bald ist nur noch die oberste Spitze der Pyramide, von einem riesigen See umgeben, zu sehen. Unter dem Wasser tun sich an allen Seiten des zerstörten inneren Kreises enorme Spalten auf. Die mittlere Sektion des Kontinents, auf dem die Pyramide steht, beginnt langsam zu sinken. Die Pyramide stürzt in die Tiefe des Ozeans, ringsum erheben sich Klippen, Überreste von Atlantis, die über der Meeresoberfläche sichtbar bleiben. Sie werden viele 1000 Jahre stehenbleiben, und sie werden in den Legenden zukünftiger Generationen und Zivilisationen an Atlantis erinnern. Aber das wahre Atlantis — das Hohe Atlantis — ist für immer vergangen.
Gruad starrt auf einen rotschimmernden Bildschirm und betrachtet die Vernichtung von Atlantis. Das Licht ändert die Farbe, von Rot zu Grau, und auch das Gesicht Gruads wird grau. In den letzten wenigen Minuten ist es um 100 Jahre gealtert. Gruad mag für sich das Recht in Anspruch nehmen, er habe recht gehandelt, doch tief im Innern weiß er, daß das, was er getan hat, nicht nett ist. Und dennoch spürt er tief im Innern Befriedigung, denn jetzt hat Gruad, der lange von einer unmäßigen Schuld gequält wurde,
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