Illusion - das Zeichen der Nacht
faulten.
Armand schien ganz und gar auf die schwierige Aufgabe konzentriert, das Boot durch diesen schlammigen Brei zu schieben. Jana ließ ihn nicht aus den Augen, achtete noch auf die kleinste Regung in seinem Gesicht. Noch hatte sie nicht die Hoffnung verloren, ihn in einem Moment der Schwäche zu überraschen, der ihr erlaubte, hinter seine Maske zu blicken. Außerdem lenkte diese Beschäftigung sie von anderen, noch unheilvolleren Gedanken ab.
»Ist es noch weit?«, fragte sie, nachdem der Kanal einen weiten Bogen beschrieben hatte, um dann in eine Gerade einzuschwenken, die kein Ende zu nehmen schien.
»Nur Geduld.« Armand lächelte so unbekümmert, als machten sie einen Sonntagsausflug. »Ihr Mädchen müsst immer …«
»Schluss jetzt«, unterbrach Jana ihn grob. »Hör endlich auf, mir was vorzumachen! Ich habe dein Theater satt. Im Grunde bist du doch bloß ein Feigling.«
Armand erstarrte und augenblicklich verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. Jana glaubte, wieder das kaum merkliche Vibrieren seiner Iriden-Maske wahrzunehmen.
Sichtlich angestrengt wandte er den Blick von Jana ab und konzentrierte sich darauf, einmal mehr das Ruder in den Schlamm zu tauchen. »Denk doch, was du willst«, gab er zurück. »Deine Meinung interessiert mich nicht.«
»Diese ganze Sache ist eine Nummer zu groß für dich«, legte Jana nach, entschlossen, ihn aus der Reserve zu locken. »Im Ernst, du hast keine Ahnung, worauf du dich da eingelassen hast.«
Armand brach in tiefes Gelächter aus, das lange an den Steinen des Gewölbes widerhallte. »Du bist diejenige, die keine Ahnung hat. Aber keine Sorge, es dauert nicht mehr lange, dann bist du schlauer.«
Mehrere Minuten lang schwiegen sie sich an. Jana starrte weiterhin in das falsche Gesicht des Zauberkünstlers, beobachtete die grünen und goldenen Reflexe und die wechselnden Schatten, die die Fackeln an den Wänden auf ihn warfen.
»Es ist nicht wahr, dass du ihn hereingelassen hast, weil er dir die Freiheit geschenkt hat«, sagte sie schließlich als Auftakt zu einem neuen Angriff. »Das passt nicht zu dir.«
Armand stützte das Kinn auf das Ruder und sah sie spöttisch an. »Und woher willst du wissen, was zu mir passt? Alles, was du von mir kennst, sind ein paar falsche Gesichter. Du hast mich in verschiedenen Rollen gesehen, als stünde ich auf einer Bühne. Du hast mich nie so erlebt, wie ich wirklich bin.«
»Aha. Und jetzt spielst du auch eine Rolle?«
»Aber sicher.« Mit einem unverfrorenen Grinsen tauchte Armand das Ruder wieder in den Schlamm. »Wir nähern uns dem Höhepunkt meines Auftritts. Dem Ende der Komödie … Oder sollte ich sagen: der Tragödie?«
Jana musterte aufmerksam sein Gesicht. »Keine Ahnung. Das müsstest du besser wissen als ich. Hat er dir etwas erzählt? Vorhin hast du ihn deinen ›Herrn‹ genannt … Das klingt, als würdest du ihn näher kennen.«
»Das war ironisch gemeint, nichts weiter. Ich erfülle nur einen Auftrag. Versuch nicht länger, mich auszuhorchen, Jana. Es wird langsam peinlich.«
Fast hätte Jana ihm recht gegeben. Sie kam sich auf einmal lächerlich vor bei ihrer Bemühung, sich ganz auf den Iriden zu konzentrieren und ihm seine Geheimnisse zu entlocken, während er sie zu dem Wesen brachte, das sie töten wollte.
Vielleicht hätte sie die Zeit, die ihr blieb, besser nutzen können, sich einen Plan zurechtlegen für den Moment, wenn sie dem Ungeheuer gegenüberstand. Doch im Grunde wusste sie, dass es sinnlos gewesen wäre. Keine Strategie würde ihr dabei helfen, die Absichten dieses unberechenbaren Geschöpfs zu durchkreuzen.
Außerdem musste sie immer daran denken, dass gegen den Nosferatu zu kämpfen bedeutete, gegen Alex zu kämpfen. Es war ein Kampf, den sie nicht gewinnen wollte, aber auch nicht verlieren durfte. Es stand zu viel auf dem Spiel und jede Unentschlossenheit von ihrer Seite konnte ihr die Niederlage einbringen.
»Es muss einen Weg geben, diese ganze Sache zu beenden«, sagte sie mehr zu sich selbst.
In diesem Moment verzog sich Armands Maske und gab klare tiefblaue Augen frei, die sie seltsam beklommen ansahen. Fast sofort fügte sich das falsche Gesicht des Zauberkünstlers wieder zusammen, aber Jana genügte dieser flüchtige Moment, um etwas mehr über ihr undurchschaubares Gegenüber herauszufinden. »Du bist gar nicht so feindselig, wie ich dachte«, sagte sie verwundert. »Du willst ja, dass ich siege …«
»Mir liegt nicht das Geringste an dir oder Alex. Ich habe
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