Illusion der Weisheit
Hunden und Hubschraubern ab, und schließlich bringen die Hunde sie auf eine erste Spur. Die Schäferhunde der Carabinieri nehmen den Geruch des Mädchens nur in unmittelbarer Nähe zur Kreuzung wahr, was bedeutet, dass Maria Mirabela die Kreuzung nicht zu Fuß verlassen hat. Die Ermittlungsbeamten vermuten eine Entführung mit pädophilem Hintergrund, und sofort werden in den Wohnungen einiger der Pädophilie verdächtigter Personen die ersten ergebnislosen Durchsuchungen durchgeführt.
Drei Tage nach dem Verschwinden des Mädchens fallen den Ermittlern Ungereimtheiten im Verhalten der Eltern auf, die – so behaupten einige Zeugen hinter vorgehaltener Hand – keinerlei Verzweiflung oder Besorgnis zeigen. Im Laufe der Ermittlungen erhärtet sich der Verdacht, der Vater könnte das Kind an einen anderen Nomadenstamm abgetreten haben.
Die Mobiltelefone des Vaters und eines angeblichen Onkels, der sich später als eine Art Stammesoberhaupt mit zwielichtigen Verwicklungen in diverse illegale Machenschaften herausstellte, werden abgehört. Doch nach zweitägiger Lauschaktion wird den Ermittlern klar, dass die Dolmetscherin – im Folgenden Ileana genannt – keine flüssige und verlässliche Übersetzung leisten kann. Die abgehörten Telefonate sind in einem Mischidiom aus Rumänisch und Romani; von Letzterem hat Ileana nur eine sehr oberflächliche und bruchstückhafte Kenntnis.
An diesem Punkt reiht sich in das Ermittlungsgeschehen eine Person ein, die die Ereignisse der folgenden Wochen und Monate in unvorhersehbarer und dramatischer Weise beeinflussen wird. Es handelt sich um Anna (auch das ein Pseudonym), eine Roma-Polizistin aus Norditalien. Sie wird zur Gerichtspolizei der Staatsanwaltschaft Bari abkommandiert und widmet sich von Stund an buchstäblich Tag und Nacht der Übersetzung der abgehörten Telefonate. Sie arbeitet mit Ileana zusammen, und schon bald sind die beiden unzertrennlich.
Mit Annas Auftauchen nehmen die Ermittlungen eine jähe, dramatische Wendung. Aus den Telefongesprächen geht hervor, dass das Mädchen am Leben und in den Händen eines anderen Nomadenstammes ist. Die Eltern sind darüber im Bilde und vor allem darum bemüht, die laufenden Ermittlungen in die Irre zu führen. Mehrmals werden Anna und Ileana gefragt, ob sie sich ihrer Übersetzung und damit der Ungeheuerlichkeit der Unterhaltungen sicher seien. Die beiden Dolmetscherinnen haben keinen Zweifel: Der Inhalt der Gespräche ist eindeutig, Maria Mirabela lebt, und die Familie weiß zumindest, wer sie hat. Vielleicht auch noch viel mehr.
Einige Tage nach Beginn der Abhöraktion beginnt sich die TV -Sendung Wer hat sie gesehen für den Fall zu interessieren und widmet dem mysteriösen Verschwinden der kleinen Mirabela in zwei aufeinanderfolgenden Sendungen lange Berichte. Mehrere Zuschauerhinweise gehen ein, von denen mindestens zwei glaubhaft erscheinen. Die Ermittler kommen zu dem Schluss, dass sich Maria Mirabela in den Händen einer norditalienischen Nomadengruppe befindet, wo sie unter sklavenähnlichen Bedingungen gezwungen wird, Autofahrer und Fußgänger anzubetteln.
Zur gleichen Zeit geht den Ermittlern ein Rumäne namens Marius ins Netz, der seit Jahren als Stallbursche in Bitonto arbeitet. Im Verhör erzählt Marius der Polizei und dem Staatsanwalt, dass Mirabelas Vater in den Wochen vor ihrem Verschwinden sehr nervös gewesen sei, weil er bei einigen seiner Landsleute große Schulden gemacht hätte. Da er nicht in der Lage gewesen sei, das Geld zurückzuzahlen, fürchtete er, seine Gläubiger, äußerst gefährliche Burschen, könnten ihn in die Zange nehmen.
Gleich nach dem Verschwinden des kleinen Mädchens sei seine Furcht ganz plötzlich und wie durch ein Wunder verpufft. Marius’ Aussagen scheinen die anfänglichen Vermutungen der Ermittler vollauf zu bestätigen und endlich eine Erklärung für das Geschehen zu liefern. Die kleine Mirabela ist einer anderen Roma-Gruppe überlassen worden, um die Schulden des Vaters zu begleichen. Die falsche Vermisstenanzeige war unumgänglich, da das Mädchen auch beim Sozialamt bekannt war. Sein Verschwinden wäre bestimmt nicht unbemerkt geblieben.
Am 9. Dezember setzt sich der Vater des Mädchens mit dem zuständigen Inspektor der Gerichtspolizei Bitonto in Verbindung und teilt ihm mit, er habe wenige hundert Meter von der Kreuzung des Verschwindens entfernt zufällig einen Schuh des Mädchens gefunden. Der Inspektor begibt sich unverzüglich an den Fundort und stellt
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