Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Tochter eine Susanna Rorif verstirbt, die vor ihrem Tod noch angibt, sich im Haus des Orgelmachers aufgehalten zu haben; kurze Zeit später verscheidet ein Jesuitenpater, der Susanna Rorif einen Krankenbesuch abgestattet hat.
Am 8. Juli erleidet Sabina Gemelich eine Frühgeburt, sie bringt ein Mädchen zur Welt, das lebensfähig scheint, der Mutter jedoch geht es sehr schlecht. Ihr Gesundheitszustand verschlimmert sich noch, als sie am nächsten Tag vom Ableben ihrer alten Näherin Anna Violin erfährt. Georg Gemelich kann nur hilflos zusehen, wie seine Frau ins Delirium fällt. In der Nacht vom 9. auf den 10. Juli, wenige Stunden nach dem Tod der Anna Violin, stirbt Sabina Gemelich – drei Tage nach der Geburt auch Christina, so der Name des neugeborenen Mädchens.
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Nun herrscht erhöhter Handlungsbedarf. Bereits am 25. Juni wird die Bevölkerung zu einer Versammlung zusammengetrommelt und ihr per Dekret bekanntgemacht, dass sie ihre ganze Aufmerksamkeit dahin richten solle, ob sich jemand aus Schwaz in Innsbruck aufhalte. Ferner wird allen Bürgern verboten, sich nach Schwaz zu begeben oder dorthin Handel zu treiben. Bei Übertretung der Verordnung sei mit schweren Strafen zu rechnen.
Als sich die Todesfälle in der Innstraße mehren, stellen die Behörden das Haus Gemelichs unter Quarantäne. Davon betroffen auch die Familie Faigl, in der bisher noch niemand an der Seuche erkrankt ist, was den Bäckermeister zu einer Beschwerde bei den Behörden veranlasst, die Sperre sei sein Ruin, klagt er. Tatsächlich bedeutet für ihn die Quarantäne einen riesigen finanziellen Verlust, denn Faigl ist es nicht mehr möglich, seine Waren an der Brotbank anzubieten. Am 18. Juli wird ihm wie Gemelich der Befehl zugestellt, sich ein anderes Quartier zu suchen, sich auf eine Alm oder in eine Berggegend zu begeben, die frische Luft wirke oft Wunder. Bei Nichtbefolgen würden beide Familien ins Bresthaus auf der Kohlstatt eingewiesen.
Die Kohlstatt hätte dir Konz Speiser als eine Gegend beschrieben, in der sich Gerbereien, die Schmelzhütte und die Köhlerei befanden. Das Areal lässt sich zusammen mit dem Stadtteil Anbruggen als die mittelalterliche Industriezone Innsbrucks bezeichnen. Das Bresthaus, das auch Brestenhaus oder Lasareth genannt wurde, befand sich in der Weinhartstraße 2. Der Begriff Brest kommt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet Mangel, Gebrechen, Schaden. Die Bezeichnung Lasareth ist ein Hinweis auf das venezianische Gesundheitswesen, das in Tirol – ebenso wie in vielen anderen Ländern – als viel bewundertes Vorbild galt. Venedig war aufgrund seiner Bedeutung als Hafenstadt stets von der Einschleppung diverser Krankheiten bedroht, sodass in der Lagunenstadt ein geregeltes Quarantänesystem entstand und sich für das ganze Abendland verbindliche Begriffe entwickelten – Lazarett nur einer davon.
Den Gemelichs und Faigls wird also ein Befehl zugestellt, wie funktioniert das, wenn das Haus einer Zugangssperre unterliegt?
Um mit den Betroffenen Kontakt aufnehmen zu können, wird ein Hausnachbar zum Kurier erkoren, die Mitteilungen werden einander im Hof hinterm Haus zugerufen, auch ist der unfreiwillig zum Boten Gewordene für die Nahrungszustellung verantwortlich. Im Fall Innstraße 9 hat er bald nur noch die Faigls zu betreuen, Gemelich stirbt im Morgengrauen des 20. Juli. Seine vier Kinder, die Magd und die Pflegerin werden ins Lazarett eingewiesen, wo Magdalena Gemelich zwei Tage später entschläft. Gleiches Schicksal ereilt auch die weiteren Töchter der Sabina und des Georg Gemelich, Sara stirbt am 29. Juli, ihre Schwester Leonora am 30.
Der älteste Sohn, wie sein Vater auf den Namen Georg getauft, überlebt die Seuche. Er fühlt sich später zum Priester berufen, tritt ins Kloster Stams ein, wird dort in den folgenden Jahren Abt. Er hinterlässt den Zisterziensern eine kunstvolle astronomische Uhr, ein Erbstück seiner Mutter, Tochter des Andrä Yllmer in der Schlossergasse. Dessen Nachbar, der Buchdrucker Paur, verlässt im Jahr 1611 fluchtartig die Stadt, das zum Druck vorbereitete Werk des Haller Stiftsarztes Guarinoni gegen die Pestilenz lässt Paur liegen, sodass das Werk nach Ingolstadt gebracht und dort gedruckt wird. Paur ist nicht der einzige, der aus der Stadt flieht, auch der Hof und die Behörden suchen nach eingehender Beratung das Weite.
Und der Bäckermeister Faigl?
Der widersetzt sich der Überstellung ins Bresthaus. In einem Brief an den Stadtrat klagt er, dass er der
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