Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
es mit jedem Wiener Kaffeehaus aufnehmen kann. Gern denkst du zurück an jene Tage, als du im fünften Jahr deines Innsbrucker Aufenthalts das erste Mal das Café betreten hast, angelockt von einem Zeitungsartikel, es war zu lesen:
„Bekanntlich ließ der Schloß- und Brauereibesitzer Robert Nissl an der Südostecke der Anich- und Theresienstraße einen prunkvollen Neubau errichten, welcher im Entwurf von Professor Haas geschaffen wurde und nun rasch der Vollendung entgegengeht. Der kuppelgekrönte Bau ist schon von außen geeignet, einen imposanten Eindruck zu machen, noch mehr ist dies aber im Inneren der Fall, wo derselbe im Entresol ein Vergnügungs-Etablissement enthält, wie ein solches stilvoll und gediegen in Material und Ausführung ganz zweifellos in der Runde nicht zu finden ist.“
Im Kaffeehaus, das auch ein Restaurant beherbergt, gibst du dich täglich dem Zeitungsstudium hin, konstatierst, die Innsbrucker Nachrichten halten fest an der 1919 eingeschlagenen Richtung, die Zeitungsmacher verhehlen ihre deutschnationale Gesinnung nicht. Dieser Kurs wird die künftige Ausrichtung des Blatts bestimmen, zur Propagierung des Anschlusses holt man deutschnationale Stadt- und Landespolitiker als Gastkommentatoren. Freilich, du selbst hast Probleme, dem Zwergstaat Deutschösterreich eine Überlebenschance zu geben. Und ist nicht auch der Rücktritt Otto Bauers im Juli letzten Jahres ein eindeutiges Bekenntnis des Scheiterns seiner Anschlusspolitik gewesen? Der Sozialdemokrat war nur Sprachrohr einer Partei, die sich dafür begeisterte, dem roten Deutschland eingegliedert zu werden.
Das zweite Mal seit deiner Ankunft in der Stadt merkst du, dass man dir aufgrund deiner Herkunft mit Skepsis begegnet. Waren es im 88er-Jahr noch die Nachwehen des Tiroler Freiheitskampfes, den die Monarchiehauptstadt im Stich gelassen hatte, so ist es nun das zur Hochburg der Sozialdemokratie avancierte rote Wien.
Du legst die Zeitung weg, schaust zum Fenster hinaus, auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Kaufhaus Bauer & Schwarz, das größte Geschäft in der Stadt, es ist nicht wegzudenken aus Innsbruck. Dass einer der Kaufhausgründer aus Wien stammt, erfüllt dich mit Genugtuung, gleich in deinen ersten Innsbrucker Tagen hast du den Laden Josef Bauers betreten, damals allerdings noch in der Museumstraße. Victor Schwarz kanntest du ebenso, er ehelichte eine Tochter Josef Bauers und gründete zusammen mit seinen Brüdern Hugo und Alexander die Firma Victor Schwarz & Co. Oft hast du deren Geschäft unter den Lauben neben dem Goldenen Dachl aufgesucht – damals in der guten Zeit, als Franz Joseph noch lebte, du seufzt. Eine jahrelange antisemitische Hetzkampagne gegen die Brüder Schwarz setzte ein, veranlasste die Stadt, den Mietvertrag aufzuheben, Victor Schwarz & Co übersiedelten in die Maria-Theresien-Straße, wo sie 1908 gemeinsam mit –
Du betrittst in Gedanken das Kaufhaus Bauer & Schwarz, eine glasüberdachte Halle mit Springbrunnen, der riesige Verkaufsraum im Parterre, der bis zur Erlerstraße zurückreicht, die schwere große Eichentreppe in den ersten Stock hinauf in die Konfektionsabteilung –
Der Ober reißt dich aus den Gedanken, mürrisch bestellst du noch eine Melange, blickst wieder in die Zeitung. Eckhart Schumacher hat sie samt Druckerei 1916 an die Salzburger Großfirma R. Kiesel verkauft, sinnierst du, während du einen Artikel überfliegst. Schumacher, heißt es, habe sich aus gesundheitlichen Gründen zum Verkauf entschlossen, wie auch immer, die Wagner’sche hat an Terrain verloren. Buchhandlung und Druckerei jedenfalls gehen getrennte Wege, bleiben jedoch durch den Namen des einstigen Gründers miteinander verbunden. Engelbert Buchroithner, einer der Schwiegersöhne der Maria Kiesel, hat jetzt das Sagen in Druckerei und Zeitung.
Interessanter für dich dürfte aber Robert Nissl sein, er war Eigentümer des Hauses, in dem du wohnst. Nissl ist übrigens der Grund, warum ich anfing, mich mit Häusern zu beschäftigen. Denn wo der Schlossherr den von der Zeitung bejubelten Neubau errichten ließ, standen früher andere Häuser, möglicherweise auch das des Johann Stadlmayr, das ich so lange vergeblich suchte.
Gehört Nissl das Café Maximilian?
Ja. Er eignet um 1900 gezählte neun Gastronomiebetriebe in Innsbruck, darunter das Gasthaus Eiche, das Goldene Schiff und das Hotel Greil, das Nissl an Johann und Maria Aichinger verpachtet hat, die Besitzer des Gasthofs Goldener Hirsch in der
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