Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Verbindungen jüdische Studenten ausschließen, gründen sich erste jüdische Studentenverbindungen, „müde, die Unverschämtheit und die Beleidigungen der Gegenseite erst abzuwarten, traten sie ihrerseits nicht selten provozierend auf“, ist bei Schnitzler zu lesen.
Die nationalen Studentenverbindungen finden mit ihren Ansichten durchaus Gehör bei manchem Professor, die Idee vom Deutschen Reich hat an der Innsbrucker Universität eine Tradition, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Auch sind es nicht nur die deutschnationalen Burschenschaften, die dem Antijudaismus freien Lauf lassen, die katholischen Verbindungen tragen ihren Teil dazu bei, wie die an Lueger verliehene Ehrenmitgliedschaft der AV Austria Innsbruck untermauert. Dass Kurt Schuschnigg, zweiter Bundeskanzler des Austrofaschismus, Mitglied des Innsbrucker CV war, erübrigt weitere Worte.
Ab 1933 verschwindet der Anschlussgedanke aus dem Repertoire der politischen Parteien, auch bei den katholisch-konservativen Hochschülern ist nichts mehr vom Elan der 20er-Jahre zu spüren. Spätestens ab 1934 fällt es ihnen nicht schwer, sich unter der Ideologie des Ständestaates zu Österreich zu bekennen. Gerade die Mitglieder der CV -Verbindungen beteiligen sich an den Kundgebungen für Österreich und verteilen Propagandamaterial für die am 13. März 1938 geplante Volksabstimmung. Für die Mitglieder der Brixia ist dies unerhört und lächerlich zugleich, einer von ihnen hat sich schon als Hochschulgruppenführer im Rahmen des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes NSDStB an der Universität einen Namen gemacht.
Zwei Jahre nach der viel umjubelten Heimführung ins Reich erfolgt 1940 der Zusammenschluss der Brixia und der Innsbrucker Germanen zur Kameradschaft Georg Ritter von Schönerer. Zu jener Zeit ist Irmfried Eberl bereits Chefarzt der Heil- und Pflegeanstalten Brandenburg, von 1941 bis 1943 versieht er in Bernburg seinen Dienst. Schließlich wird SS -Obersturmführer Eberl erster Kommandant des KZ Treblinka. 1910 in Bregenz geboren, verübt Eberl 1948 in Ulmer Untersuchungshaft Selbstmord, er war der Arzt, „der von allen Euthanasie-Ärzten die meisten Menschenleben auf dem Gewissen hat“. Eberl studierte in Innsbruck Medizin und war Mitglied der Burschenschaft Germania.
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Hieltst du es nicht in Händen, das erste antisemitische Flugblatt, das ein Jahr nach deiner Ankunft in der Stadt kursierte?
„1. Stellung gegen alles Undeutsche und Jüdische in Wort, Tat und Schrift! Duldet nirgends jüdische Zeitungen. 2. Verkehrt nicht bei Juden und kauft nicht bei Juden! Insbesondere ihr christlichen Hausfrauen und Mädchen merkt euch dies! Christen kaufen nur bei christlichen, ehrlichen Geschäftsleuten und veranlaßt auch eure Angehörigen und Dienstboten dazu! 3. Wählt Männer in die Vertretungskörper, welche den Mut haben, als die Hauptursache des Niedergangs des Mittelstands das Judentum zu bezeichnen! 4. Brandmarkt Judenfreunde und Judenknechte als Volksverräter! 5. Lest und bezieht nur solche Zeitungen, welche alles Jüdische und den jüdischen Zeitgeist aus volklichen und wirtschaftlichen Gründen offen bekämpfen! 6. Sorgt dafür, daß diese Grundsätze feste Wurzel im Volke fassen! Israel muß fallen! Wählt bei den Wahlen antisemitisch gesinnte Männer, keine Juden oder Judenknechte!“
Dass die Juden für Gott, Kaiser und Vaterland in den Ersten Weltkrieg ziehen, ändert an ihrer Lage nicht das Geringste, im Gegenteil. Das Haus, in dem du wohnst, die Schulen, der Keller, in dem wir uns befinden, alle Häuser dieser Stadt erzählen von einer Zeit, in der die Christlichsoziale und Deutschnationale Partei die Sündenböcke für die desolate Wirtschaftslage der Zwischenkriegszeit rasch aufspüren. Alle Schuld liegt bei den Juden und den Sozialdemokraten.
Und so freuen sich denn auch die Macher der Innsbrucker Nachrichten und bringen unverhohlen ihre Zufriedenheit über den im Jahr 1926 erfolgten Rücktritt des sozialdemokratischen Landeshauptmannstellvertreters zum Ausdruck, wen wundert’s, gegen den sind sie schon vorher ins journalistische Feld gezogen.
Waren denn die Innsbrucker Nachrichten die einzige Zeitung in der Stadt?
Nein. Als Drucker, Herausgeber und Verleger tritt auch die Tyrolia in Erscheinung, sie ist die größte Druckerei, beschäftigt in den 20er-Jahren über 400 Mitarbeiter. Bei der Wagner’schen stehen 150 Arbeiter auf der Lohnliste, gar nur 20 bis 25 verdienen bei Felizian Rauch ihr
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