Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
ein Denkmal zu setzen, anders ist der Neubau, der dem Greif folgte, kaum zu erklären. Joseph Brodsky fällt mir ein, in einem seiner Bücher nimmt er jene Architekten aufs Korn, die sich „jenem grässlichen Baustil der Nachkriegszeit“ verpflichten, der dem europäischen Stadtbild mehr Schaden zugefügt hat als jede „Luftwaffe“, ist recht stimmig, nicht?
Also, ich weiß nicht, es gibt schon auch beachtliche Zeugnisse moderner Architektur in dieser Stadt. Denk an die Bergiselschanze oder an die Rathausgalerie! Auch die Buchhandlung am Sparkassenplatz gefällt mir gut.
Da gebe ich dir recht. Hadid und Perrault haben das heutige Stadtbild geprägt wie früher Welzenbacher und – Frag das Haus, in dem wir uns befinden! Es erzählt dir, dass Anton Wechselberger, der Urgroßvater des jetzigen Barbesitzers, 1926 zum Umbau des Dachgeschoßes und der Räumlichkeiten im ersten Obergeschoß einen Architekten beauftragte, der knapp zwei Jahre später mit den Stationsgebäuden der Nordkettenbahn und dem Gasthof Seegrube überregional für Aufsehen sorgte. Für solches garantiert auch Clemens Holzmeister, der bekannteste Tiroler Architekt. Vierzehn Jahre bevor er nach Istanbul emigriert, plant er das Café im Innsbrucker Hofgarten, inzwischen mehrfach umgebaut, erinnert es kaum noch an sein ursprüngliches Aussehen. In Auftrag gegeben wurde der Bau 1924 von Erich Schindler.
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Samuel Schindler kommt wie du in den 80er-Jahren nach Innsbruck und gründet hier die Erste Tiroler Fruchtsaftpresserei, Landesproduktenbrennerei und Likörfabrik. Du findest sie in der Andreas-Hofer-Straße 13, stößt in der Seilergasse auf eine Zweigstelle des Betriebs in jenem Haus, das bereits die Legaten aus dem Friaul erwähnen und das später im Besitz Michael Wagners ist. In der Karmelitergasse eröffnet Schindler eine weitere Filiale, wo auch Marmelade produziert wird.
Geboren wurde Schindler 1842 im schlesischen Sorran, inzwischen hat er selbst einen knapp einjährigen Sohn namens Erich, sein zweites Kind Hugo erblickt noch in diesem Monat, im Jänner 1888, die Welt. Die beiden werden später das vom Vater aufgebaute Unternehmen weiterführen, dazu gehört das Café Schindler in der Maria-Theresien-Straße 29, das Lois Welzenbacher Anfang der 20er-Jahre entworfen hat. Um 1930 wird der Wiener Architekt Karl Witzmann, unter anderem verantwortlich für den Bau des Josefstädter und des Apollotheaters in Wien, mit der Umgestaltung des Kaffeehauses betraut. Ab dann ist es möglich, durch die neu gestaltete breite Fensterfront auf das rege Treiben in der Maria-Theresien-Straße zu blicken; ebenerdig befindet sich die Konditorei, im ersten Stock das Kaffeehaus und ein Tanzsalon, im zweiten ein geräumiges Spielzimmer. In den 30er-Jahren gehen hier vermutlich die Töchter und Söhne jener Innsbrucker aus und ein, die in der Zwischenkriegszeit –
Wie ergeht es der Stadt im Ersten Weltkrieg?
Zahlreiche Innsbrucker rücken ein, darunter auch Hugo Schindler, Oberstleutnant bei den Tiroler Kaiserjägern. Zwar ist die Stadt relativ weit entfernt von der Front, aber die letzten beiden Kriegsjahre sind ein Horror. In Tagebüchern finden sich Eintragungen wie diese:
„Ein trauriger Anblick, wenn Hunger so überhand nimmt, daß Weiber sich nicht scheuen, die halbrohen Kuttelflecke zu verschlingen.“
Zu Beginn des Krieges sieht es ganz anders aus: Euphorie und Hurrageschrei, Ressentiments. Am 26. Juni 1914 widmen die Innsbrucker Nachrichten der Ermordung des Thronfolgerpaars über fünfeinhalb Seiten. Damit endet die seriöse Berichterstattung einer Zeitung, die sich seit ihrer Gründung zu einem Blatt entwickelt hat, das kaum mehr einen Unterschied zu den Residenzblättern in Wien und München aufweist. Die Zeitung erscheint sechsmal die Woche, wartet von nun an auch mit Extraausgaben auf, so am 25. Juli anlässlich des österreichischen Ultimatums an Serbien. Als am 30. Juli die Kriegserklärung erfolgt, ist das den Zeitungsmachern natürlich die Titelseite wert. Die Kriegsberichterstattung nimmt ihren Anfang, für die Innsbrucker Nachrichten schreibt Eugen Lembhoff, der auch für die Neue Freie Presse , den Berner Bund und das Prager Tagblatt arbeitet.
Aber von jenen Tagen kann dir auch eines der Häuser, die du genannt hast, erzählen. Wo zu Konz Speisers Zeiten das nervige Geräusch der Brunnenbohrer anhob, wurde am 2. Oktober 1864 der Schulpalast, wie man ihn nannte, eingeweiht, heute dient er als Berufsschule. Vom straßenseitigen
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