Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
arbeitet er als Dramatiker, seine Stücke werden am Burgtheater in Wien genauso aufgeführt wie in Innsbruck. Preise und Ehrungen bleiben nicht aus, unter anderem erhält der 1880 in Meran geborene Autor 1935 den Grillparzer-Preis, an sich erstaunlich, ist doch Wenter seit 1933 Mitglied der NSDAP . Aber letztlich zeigt das nur, wie sehr sich der Ständestaat darum bemüht, Autoren – ungeachtet deren Ideologie – für sich zu vereinnahmen. Das gipfelt darin, dass man Wenter 1936 das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verleiht. Interesse am Dramatiker und Tiergeschichtenerzähler, der sich 1943 ein zweites Mal Grillparzer-Preisträger nennen darf, melden auch deutsche Verlage an: Wenter publiziert bei Piper und Beckstein in München und bei der Deutschen Buchgemeinschaft Berlin. Ebenso Bestseller-Auflagen erreichen die Bücher eines anderen Tiroler Autors, Rudolf Greinz, der bei L. Staackmann in Leipzig unter Vertrag steht. Wenn du wissen willst, welche Autorinnen und Autoren regimetreu publizierten, dann such im Antiquariat nach Lebendiges Tirol! Darin findest du Texte von Joseph Georg Oberkofler, Josef Leitgeb, Karl Schönherr, Josef Wenter, Franz Tumler, Hubert Mumelter und anderen, stößt vor allem auf ein Gedicht der Wahltirolerin Gertrud Fussenegger, die damals in pathetischer Übersteigerung Hitler mit Gott gleichsetzte.
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Was weiß das Haus, in dem wir uns befinden, vom 27. Mai 1932 zu erzählen? Draußen auf dem Platz vor der Bar, wo sich allabendlich Gäste tummeln, wartet am 27. Mai eine mit Steinen bewaffnete Menschenmenge auf den Wagenkonvoi, der durch die von der Polizei gesperrte Höttinger Gasse kommt. Schon ertönen erste Pfuirufe, krachen faustgroße Steine gegen die Autos, in denen die aufgebrachte Menge die Hakenkreuzler weiß, die ins „Braune Haus“ der NSDAP in die Müllerstraße gebracht werden sollen. Die Polizei versucht, den Platz zur räumen, schließlich gelingt es ihr, die Autokolonne durch die wütende Rotte hindurch und über die Innbrücke quer durch die Stadt in die Müllerstraße zu schleusen. Die Gegend um das „Braune Haus“ wird aus Angst vor weiteren Übergriffen abgeriegelt, erst in den späten Nachtstunden beruhigt sich –
Was war passiert?
Grund für die tumultartigen Szenen ist eine nationalsozialistische Versammlung im Gasthof Bären, an der gut 120 NSDAP -Parteimitglieder teilnehmen wollen. Da die Veranstaltung frei zugänglich ist, befinden sich neben Nazis ungefähr 100 Sozialdemokraten und an die 50 Kommunisten im Saal. Es ist 19 Uhr 45, der Saal voll besetzt, die Lage noch ruhig. Als eine Viertelstunde später der Einzug der SA -Leute erfolgt, fliegen Gläser, Flaschen und Aschenbecher – kurzum, es entsteht eine gewaltige Schlägerei, bei der über dreißig Personen teils schwer verletzt werden und ein SA -Mann sogar zu Tode kommt.
Immerhin haben die Roten ein Zeichen gesetzt!
Zugleich geben sie den Nationalsozialisten aber die Möglichkeit, den getöteten SA -Mann Sylvester Fink unter wortkräftiger Mithilfe der Neuesten Zeitung zum Märtyrer zu stilisieren. Das Blatt nennt den aus Mühlau bei Innsbruck stammenden Fink ein Opfer seiner Überzeugung, im schlichten Braunhemd des SA -Mannes habe er sich mit echter deutscher Treue der Bewegung Adolf Hitlers angeschlossen. Die Schneeburggasse heißt während des Naziterrors dann auch Sylvester-Fink-Straße. Unmittelbarer ist der große Stimmengewinn, den die NSDAP infolge der Höttinger Saalschlacht bei den nächsten Wahlen verbuchen kann.
Mag sein. Wichtiger aber erscheint mir die Tatsache, dass es durchaus Menschen gab, die früh genug erkannten, welche Mörderbande die Nazis waren.
„Gestern von feiger roter Horde ermordet“, diese Aufschrift steht auf dem mit Hakenkreuz versehenen Totenzettel, den die Hitler-Jugend am Tag nach der Saalschlacht verbreitet. Beim Begräbnis wird dann dem Völkischen die Treue geschworen, eine achtzigköpfige Delegation der NSDAP -Ortsgruppe München erscheint in Uniform und marschiert durch die Straßen. Dem Zug schließen sich Verbände aus Salzburg und Vorarlberg an, die Tiroler Ortsgruppen sind ohnehin alle vertreten. Das sorgt für ungeheures Aufsehen.
Dass sich die Saalschlacht auf die Wiener Universität auswirkt, erzählt die Studentenbude: Sozialdemokratische Studenten prallen auf nationalsozialistische, der Rektor sieht sich gezwungen, die Universität zu schließen. Tumulte auch an der Hochschule für Welthandel, „Rache für Hötting“ lautet die
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