Im Angesicht der Schuld
Plötzlich bat er mich anzuhalten. Sekundenlang sah er mich an, als wolle er sich meinen Anblick einprägen. Dann sagte er: Danke! Ich fragte: Wofür? Und er antwortete: Dass du mich bis hierhin begleitet hast. Dann lächelte er und stieg aus. «
» Und Sie? Was haben Sie getan? «
» Ich fuhr weiter. «
Ich wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln.
» Wie ist dieses Weiterfahren ohne ihn? «
» Es ist immer noch schwer. Aber es gibt auch Zeiten, da bin ich ganz vergnügt, hin und wieder sogar selbstvergessen. Daraus schöpfe ich Kraft. « Sie lächelte mich aufmunternd an. » Im Augenblick haben Sie bestimmt das Gefühl, Ihre Kraftquellen seien versiegt, aber das scheint nur so, da Sie ein Vielfaches an Energie verbrauchen. Im Rückblick werden Sie sich darüber wundern, was Sie alles geschafft haben. So, jetzt aber genug davon! Erzählen Sie mir lieber, wie Sie Ihren Mann kennen gelernt haben! «
Ich kuschelte mich in die Sofaecke, schlug die Beine unter und wanderte dreizehn Jahre in der Zeit zurück: Ich war mitten im Studium, während er gerade seinen ers ten Job angetreten hatte. Damals teilte er sich noch eine Wohnung mit einem Freund –Hannes hieß er …
B arbara Overbeck hatte nicht zurückgerufen. Und auch Joost hatte sich nicht gemeldet. Ihn konnte ich vielleicht am Woche n ende erreichen, bei ihr würde ich es gleich an diesem Morgen versuchen. Als Nelli da war, fuhr ich zu dem Haus in der Grindelallee, in dem Joosts angebliche Geliebte wohnte. Ein paar Meter vom Hauseingang des Sechziger-Jahre-Baus entfernt fand ich einen Parkplatz. Ich stellte den Motor aus und wartete. Wenn sie tatsächlich die Frau war, die sich an meinem Geburt s tag mit Joost gestritten hatte, dann würde ich sie erkennen. Immerhin hatte ich sie auch in seinem Institut wiedererkannt.
Während ich wartete, versuchte ich zum x-ten Mal, mir über die möglichen Zusammenhänge klar zu werden. Nach dem, was Annette erzählt hatte, schien jedoch alles noch verworrener zu sein. Wenn die Frau vor dem Restaurant und Gregors letzte Mandantin tatsächlich ein und dieselbe Person waren, dann war das ein weiterer Beweis dafür, dass das, was Joost behauptet hatte, nicht stimmte. Wie sollte Gregor Barbara Overbeck in der Vaterschaftssache vertreten haben, wenn er ihr erst an jenem Abend seine Visitenkarte gegeben hatte? Zumal auch Ruth Lorberg eine solche Vertretung im vorliegenden Fall für ausgeschlossen hielt.
Als sie bis kurz vor neun immer noch nicht aufgetaucht war, begann ich nervös zu werden. Was, wenn sie ein paar Tage verreist war? Dann konnte ich lange hier warten. Ich war schon kurz davor aufzugeben, als die Tür aufging und eine Frau mit einem circa ein Jahr alte n K leinkind auf dem Arm herauskam und zu dem Auto ging, das vor meinem parkte. Kein Zweifel: Sie war es.
Blitzschnell öffnete ich meine Tür und lief zu ihr.
» Frau Overbeck? «
Sie sah über die Schulter zu mir. » Ja? «
» Entschuldigen Sie diesen Überfall. Mein Name ist Helen Gaspary, ich habe Ihnen ein paar Mal auf Ihren Anrufbeant wo r ter gesprochen. «
» Tut mir Leid, ich habe keine Zeit «, sagte sie abweisend.
» Bitte … nur einen Moment. «
» Hören Sie, es geht nicht! Um halb zehn habe ich einen Te r min, vorher muss ich meinen Sohn in der Krippe abliefern. «
» Wann geht es dann? «
Sie schloss die Autotür und trat einen Schritt auf mich zu. » Es wird überhaupt nicht gehen. Ich möchte mit dieser ganzen Angelegenheit nichts mehr zu tun haben, verstehen Sie das nicht? Seit ich Ihren Mann an jenem Montag aufgesucht habe, geht bei mir die Kripo ein und aus. Und jetzt kommen Sie auch noch. Ich weiß nichts, was Ihnen weiterhelfen könnte. Also lassen Sie mich gefälligst in Ruhe. « Aus ihrem Blick sprach vordergründig unterdrückte Wut. Dahinter glaubte ich, einen Anflug von Angst zu erkennen. Aber möglicherweise täuschte ich mich auch.
» Was hatten Sie mit meinem Mann zu tun? «
» Ich habe mich von ihm beraten lassen. «
» Es existieren aber keine Notizen über Ihre beiden Termine bei ihm. «
» Nicht mein Problem! « Sie öffnete die Fahrertür.
» Und jetzt muss ich los. «
» Professor Kogler behauptet, mein Mann habe Sie bei Ihrer Vaterschaftsklage unterstützt. Aber meines Erachtens ist das nicht möglich, schließlich haben Sie ihn erst während der Auseinandersetzung mit Joost Kogler vor dem Restaurant kennen gelernt. Ich habe gesehen, wie mein Mann Ihnen seine Visitenkarte gegeben hat. «
In ihrem
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