Im Angesicht der Schuld
Bevor ich losfuhr, rief ich Nelli an, um ihr zu sagen, dass ich erst in einer Stunde zurück sein würde. Zehn Minuten später stand ich Joosts Empfangsdame gegenüber und bestand darauf, mit ihrem Chef zu sprechen. Ihr ratloses Kopfschütteln und den Hinweis, dass dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt ganz unmö g lich sei, ließ ich nicht gelten. Ich versicherte ihr, dass es u m L eben und Tod gehe, und damit log ich noch nicht einmal. Sie griff zum Hörer und leitete diese Information an jemanden am anderen Ende der Leitung weiter.
Fünf Minuten später eilte Joost mit wehendem weißen Kittel auf mich zu. » Was ist passiert, Helen? «, fragte er außer Atem.
» Können wir das in deinem Büro besprechen? «
» Natürlich … komm! « Er hielt mir die Tür auf. » Ich habe leider nur zwei Minuten «, sagte er, nachdem wir uns gesetzt hatten. » Also schieß los! Was gibt es so Wichtiges? «
Ich legte meine Unterarme auf den Schreibtisch, der uns trennte, und faltete die Hände. » An dem Freitag vor seinem Tod hattest du mit Gregor einen Streit am Telefon … «
Seine eben noch gespannte Miene veränderte sich schlagartig. Er sah mich ärgerlich an. » Deswegen holst du mich aus einer Besprechung? Das hätte nun wirklich Zeit bis heute Abend gehabt. «
» Nein! «, entgegnete ich bestimmt. » Ich habe mir Gregors Worte noch einmal ins Gedächtnis gerufen. Erinnerst du dich? Er sagte: Ich werde meinen Mund nicht halten, Joost. Das kannst du nicht von mir erwarten. Bring das in Ordnung! «
» Helen, was soll das? Ich habe sehr viel Verständnis für deine Situation. Aber hab du bitte auch Verständnis für meine. Nebenan sitzen drei Leute, die einen Termin mit mir haben. Sie warten auf mich. Ich rede gerne mit dir über deinen Mann, aber lass uns das bitte auf heute Abend verschieben. « Er stand auf und bedeutete mir, es ihm gleichzutun.
Wie festgenagelt blieb ich sitzen. » Ich hatte gan z s elbstve r ständlich angenommen, diese Auseinandersetzung habe sich um dein Verhältnis gedreht, um diese Frau, mit der du vor dem Restaurant aneinander geraten bist. Aber sowohl du als auch Barbara Overbeck versichern, dass es keine Affäre zwischen euch gibt. Worum also drehte sich der Streit mit Gregor am Telefon? «
Langsam wurde er ungehalten. » Um genau das, was du verm u tet hast, Helen, um eine meiner Affären. So, und nun lass mich bitte weiter arbeiten. «
» Was gab es da in Ordnung zu bringen, über das Gregor nicht länger seinen Mund halten wollte? «
» Helen, es reicht! « Er ging zur Tür und öffnete sie.
» Mir reicht es auch, Joost, glaube mir. Ich habe die Nase voll von all den Unund Halbwahrheiten, die mir aufgetischt werden. Also antworte mir bitte, sonst wirst du mich nicht los. Was gab es da in Ordnung zu bringen? «
» Kannst du dir das nicht vorstellen? «, fragte er mit gesenkter Stimme. » In einem Dreiecksverhältnis gibt es immer etwas in Ordnung zu bringen. Und wenn es nur darum geht, die Zahl der Beteiligten zu reduzieren. « Er sah mich mitleidig und gleichze i tig wütend an. » Ich kann verstehen, dass die gegenwärtige Situation schwer für dich ist, Helen. Und ich kann dir nur noch einmal versichern, dass Annette und ich jederzeit für dich da sind, um dir zu helfen. Aber du solltest den Bogen nicht übe r spannen und … «
» Und unsere Freundschaft strapazieren? «, fiel ich ihm ins Wort. » Meinst du das? «
Er legte seine Hände auf meine Schultern. » Du und Jana, ihr beide habt einen großen Verlust erlitten. Das tut mir von Herzen Leid. Aber ich möchte mir nicht länger unterstellen lassen, für diesen Verlust verantwortlich z u s ein. Es ist nicht angenehm, unter einen solchen Verdacht zu geraten. So, und jetzt muss ich zurück in meine Besprechung. Ich denke, es ist alles gesagt. «
» Noch nicht ganz. « Ich hielt ihn am Arm zurück. » Als ich am Dienstagabend bei dir war, hast du behauptet, Gregor habe Barbara Overbeck bei ihrer Vaterschaftsfeststellungsklage vertreten. Aber das stimmt ganz offensichtlich nicht. «
Die Wut in Joosts Blick war nur vordergründig, dahinter schien Wachsamkeit durch. Abwartend verschränkte er die Arme vor der Brust.
» Barbara Overbeck hat Gregor erst vor dem Restaurant kennen gelernt. An seinem Todestag hatte sie ihren zweiten Termin bei ihm. Wie sie sagt, wollte sie dich über Gregor zum Eingestän d nis eines Fehlers bei der DNA-Analyse bewegen. « Ich holte tief Luft. » Warum hast du mich angelogen, was Gregors Rolle in
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