Im Angesicht der Schuld
du deinen dafür aktivierst, soll es mir recht sein. «
Sie lachte übermütig. » Glaubst du allen Ernstes, ich will dieses zarte Band der Freundschaft, das sich gerad e e rst zwischen Nelli und mir entspinnt, gleich wieder zerreißen? Vergiss es! «
» Oh … apropos «, mischte Nelli sich in unsere Unterhaltung, » das habe ich ganz vergessen, Ihnen zu sagen. Gestern habe ich den alten Ohrensessel von Ihrem Mann mal wieder gründlich sauber gemacht. Und dabei habe ich unter dem Sitzkissen eine Kladde gefunden. Die muss Ihrem Mann irgendwie dahin gerutscht sein. Ich wusste nicht, wo ich sie hinlegen sollte. Da habe ich sie einfach auf seinen Schreibtisch gelegt. Ich hoffe, das war okay … wo ich Ihnen doch hoch und heilig versprochen habe, all seine Sachen wieder genau an ihren Platz zu legen. «
» Mach dir keine Gedanken, Nelli. Das ist schon in Ordnung. Und jetzt macht, dass ihr loskommt. Ich will nicht, dass ihr meinetwegen etwas von eurem Konzert versäumt. «
Nachdem sie gegangen waren, hatte ich immer noch ihr L a chen im Ohr. Es tat nicht nur mir gut, sondern auch den Wänden um mich herum. Ich war ihnen dankbar dafür.
J ana schlief, Isabelle war mit Nelli unterwegs und würde erst spät zurückkommen. Und ich … ich wollte den Teil meines Lebens wieder aufgreifen, der von Gregors Tod, so hoffte ich, unberührt geblieben war.
Ich tauchte das Arbeitszimmer in warmes Licht, entzündete eine Aromalampe und setzte mich an die Staffelei, auf der immer noch das kleine Aquarell auf seine abschließende Beurteilung wartete. An dem Freitag vor Gregors Tod hatte ich das Gutachten begonnen, vielleicht konnte ich es an diesem Abend endlich fertig stel len. Ich hatte die Geduld meines Auftraggebers ohnehin schon über Gebühr strapaziert.
Als ich es nach eineinhalb Stunden tatsächlich geschafft hatte, war ich stolz auf mich und bedachte das Gutachten mit einem erleichterten Blick. Die Sorge, ich würde es möglicherweise nicht mehr zustande bringen, war unbegründet gewesen. Ich empfand nicht nur die wieder gewonnene Sicherheit als wohlt u end, sondern auch die Ablenkung von meinen Grübeleien. Beides hatte mir einen Moment der Zufriedenheit beschert.
Gerade wollte ich die Lichter im Arbeitszimmer löschen, als mein Blick auf Gregors Schreibtisch und die schwarze Kladde fiel, von der Nelli gesprochen hatte. Ich ging um den Tisch herum und schlug sie auf. Als ich seine Schrift sah, bedauerte ich sekundenlang, dass Gregor und ich uns nie Briefe geschri e ben hatten. Ich ließ mich in seinem Stuhl nieder und strich mit der Hand über das Papier.
Dann nahm ich das Heft in die Hand und stellte beim Durc h blättern fest, dass nur die ersten beiden Seiten beschrieben waren. Einiges hatte er wieder durchgestrichen, anderes unte r strichen. So zum Beispiel zwei Namen: Barbara Overbeck und Tonja Westenhagen. Wie elektrisiert starrte ich darauf. Es dauerte, bis ich den Rest erfasste, obwohl ich eigentlich nicht begriff, was ich da las.
Unter Barbara Overbecks Namen hatte er Beihilfe zum ve r suchten Betrug und uneidliche Falschaussage mit den entsprechenden Paragrafen und dem vermutlichen Strafmaß aufgelistet. Und: berufliche Folgen vermutlich ruinös. Unter Tonja Westenhagens Namen stand: Das Wegschaffen von Leichenteilen ist nicht straf bar, es ist lediglich eine Ordnung s widrigkeit und wird mit einer Ordnungsstrafe belegt. Entgegen der verbreiteten Meinung unerheblich!
Und noch ein Name war dort vermerkt. Mit ihm konnte ich allerdings nichts anfangen. Wer war Flora Masberg? Gregor hatte ihren Namen umkringelt und Nötigung! sowie das mögl i che Strafmaß daneben vermerkt.
Hatten diese drei Namen etwas mit Gregors Tod zu tun? Meine Intuition antwortete spontan mit ja, mein Verstand konnte jedoch keine Verbindung zwischen den drei Frauen entdecken. Ich hatte Barbara Overbeck nach Tonja Westenhagen gefragt, und sie hatte behauptet, mit diesem Namen nichts anfangen zu können. Sie musste gelogen haben.
Fieberhaft überlegte ich, wen ich nach Flora Masberg fragen konnte. Wenn Barbara Overbeck mich schon in Bezug auf die junge Frau belogen hatte, dann würde sie es auch in diesem Fall tun. Sie anzurufen war also sinnlos. Aber vielleicht wussten Ruth Lorberg oder Kerstin Grooth-Schulte etwas.
Ich suchte ihre Privatnummern heraus und hoffte, dass weni g stens eine von beiden an diesem Samstagabend erreichbar sein würde. Kerstin Grooth-Schulte war es nicht, wie mir ihr Anru f beantworter mitteilte, aber bei
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