Im Angesicht der Schuld
ihrer Kollegin hatte ich Glück. Sie hatte zwar Gäste zum Essen da, war aber bereit, sie für zwei Minuten sich selbst zu überlassen.
» Ich habe nur eine Frage, Frau Lorberg. Sagt Ihnen der Name Flora Masberg etwas? «
» Nein «, antwortete sie ohne Zögern, » diesen Namen habe ich noch nie gehört. «
» Wissen Sie, ob Frau Grooth-Schulte ein Handy besitzt? Und wenn ja, haben Sie die Nummer? «
» Augenblick, ich hole sie. « Wie immer war sie viel zu diskret und professionell, um sich nach dem Grund für meine Eile zu erkundigen. Stattdessen diktierte sie mir die Nummer und wünschte mir noch einen schönen Abend.
Kerstin Grooth-Schulte ging nach dem vierten Klingeln an ihr Handy. Im Hintergrund hörte ich Stimmen und Musik. Nachdem ich mich für die Störung entschuldigt hatte, fragte ich auch sie nach dem dritten Namen aus der Kladde. Ihre Antwort fiel wie die ihrer Kollegin negativ aus. Ich bedankte mich und beendete das Gespräch.
Was nun? Noch einmal las ich die beiden Seiten in der Kladde durch, allerdings ohne auf einen weiteren Hinweis zu stoßen. Vielleicht konnte ich ihn aber auch nur deshalb nicht finden, weil mir eine entscheidende Information fehlte. Ich schlug im Hamburger Telefonbuch unter M nach. Treffer! Flora Masberg war dort mit Adresse und Telefonnummer verzeichnet.
Vor Gregors Tod wären meine Skrupel, einen fremden Me n schen am späten Samstagabend zu behelligen, beträchtlich gewesen. Irgendwann würden sie wieder kommen, aber jetzt war ich frei von ihnen. Hastig drückte ich die Tasten und wartete auf das Freizeichen. Nach dem zweiten Klingeln meldete sich ein Mann. Mit klopfendem Herzen entschuldigte ich mich für die späte Störung und fragte ihn nach Flora Masberg.
» Sie wohnt nicht mehr hier. «
» Wissen Sie, wie ich sie erreichen kann? «
» Keine Ahnung. Sie hat vor mir in dieser Wohnung gewohnt, ich habe lediglich ihre Nummer übernommen. «
» Seit wann ist sie weg? «
» Seit einem halben Jahr. «
» Danke. « Enttäuscht unterbrach ich die Verbindung.
Mit einem letzten Funken Hoffnung rief ich bei der Telekom an und fragte nach einem Neueintrag unter dem Namen Ma s berg. Fehlanzeige. Entweder wollte sie nicht gefunden werden, oder sie hatte geheiratet. Oder … saß sie möglicherweise im Gefängnis? Ich sah wieder in die Kladde. Gregor hatte neben Nötigung das mögliche Strafmaß, nämlich Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, geschrieben.
Ich lief in den Flur und suchte auf der Kommode nach der Visitenkarte von Felicitas Kluge. Obwohl ich mir keine großen Chancen ausrechnete, dass sie am Wochenende ihr Handy eingeschaltet hatte, wählte ich die Nummer. Ich war schon darauf gefasst, eine Nachricht auf ihrer Mailbox zu hinterlassen, als sie sich meldete.
» Wie gut, dass ich Sie erreiche, Frau Kluge «, sagte ich aufg e regt. » Ich weiß, dass es spät ist, aber ich muss unbedingt etwas mit Ihnen besprechen. «
» Frau Gaspary, sind Sie das? «
» Ja … entschuldigen Sie diesen Überfall, aber … « Ich geriet ins Stammeln. » Ich habe etwas gefunden, das ich Ihnen gerne zeigen würde. «
» Und das hat nicht Zeit bis Montag? Ich habe dieses Woche n ende frei und … «
» Bitte! «, flehte ich. » Ich werde Ihnen auch so wenig Zeit wie möglich stehlen. Sagen Sie mir einfach, wohin ich kommen soll. «
Es war still in der Leitung, sie schien nachzudenken.
» Ich komme morgen früh um neun Uhr zu Ihnen, um zehn habe ich eine Verabredung. So etwas sollte jedoc h d ie Ausna h me bleiben, Frau Gaspary. Mein Privatleben kommt ohnehin schon zu kurz. «
» Danke! «
I n dieser Nacht hatte ich nur wenige Stunden geschlafen. Ich war sehr früh aufgewacht und hatte wieder und wieder die zwei Seiten in Gregors Kladde durchgelesen und versucht, Verbi n dungen zwischen den drei Frauen herzustellen. Was auch immer dabei herauskam, es blieb eine Konstruktion, von der ich nicht wusste, ob sie der Realität überhaupt nahe kam.
Um kurz vor sechs kam Isabelle nach Hause, lächelte mich ziemlich beschwipst durch halb geschlossene Lider an und verschwand gleich im Gästezimmer, aus dem sie erst Stunden später wieder auftauchen sollte.
Nachdem ich mit Jana gefrühstückt hatte, brachte ich sie zu Mariele Nowak, um mich voll und ganz auf den Besuch der Kripobeamtin konzentrieren zu können.
Wie versprochen, kam sie pünktlich um neun Uhr. Ich hatte uns beiden Kaffee gemacht und ihr einen von Mariele Nowaks Muffins mitgebracht.
» Ist das ein
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