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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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gefüllt hatte, und nickte Sanika Nuri zu, die eine Fernbedienung in die Hand nahm und einige Knöpfe drückte. Von der Decke löste sich fast geräuschlos ein Video-Beamer, gleichzeitig entrollte sich an der Fensterseite des Raumes eine Leinwand. Wenige Sekunden später erschien eine Grafik, auf der in stilisierter Form elf Ossuarien zu sehen waren. Sie waren in der gleichen Reihenfolge 2 – 6 – 2 – 1 angeordnet, wie im Mausoleum. Theresia nickte Sanika erneut zu, und die den jeweiligen Gebeinkästen zugeordneten Namen erschienen.
    Theresia stellte ihr Glas ab und nahm einen schmalen Aktenordner zur Hand. Sie blätterte darin herum, als suche sie eine bestimmte Stelle, Engel war sich sicher, dass sie in Wirklichkeit nur die Spannung steigern wollte. Wenn alle schon bei den trocken vorgetragenen Ergebnissen des Epigrafikers so in Verzückung geraten waren, dann würde sie ihnen jetzt eine perfekte Show liefern.
    «Als Erstes haben wir das Geschlecht unserer lieben Verstorbenen bestimmt.»
    Sie streckte die Hand aus und ließ sich von Sanika die Fernbedienung reichen. Theatralisch richtete sie den kleinen Kasten auf die Leinwand und drückte mit großen Pausen die Entertaste, woraufhin jeweils in einem Ossuarium das Symbol für männlich oder weiblich erschien. Obwohl jeder die Ergebnisse sehen konnte, ließ sie es sich nicht nehmen, jedes aufleuchtende Symbol mit ihrer tiefen, durchdringenden Stimme zu kommentieren.
    «Josef: männlich. - Maria: weiblich – Salome: weiblich – Simon: männlich – unbekannt: weiblich – unbekannt: männlich – unbekannt: männlich – unbekannt: männlich.»
    Alle im Raum hielten den Atem an. Theresia nahm einen Schluck Wein und ließ ihn genüsslich durch ihren Mund kreisen.
    «Jesus», sie drückte den Knopf auf der Fernbedienung, als müsse sie durch mechanischen Druck das Ergebnis auf die Leinwand zaubern.
    «Jesus: männlich».
    Die gesamte Gruppe atmete geräuschvoll aus. Theresia setzte ihre Präsentation jetzt zügig fort:
    «Maria: weiblich – Judas: männlich.»
    Henderson sprang auf und ging mit großen Schritten auf Theresia zu. Er schlang die Arme um sie und drückte sie an sich. Die Anthropologin schnappte sichtlich erstaunt, aber lachend nach Luft.
    «Mein Gott, Harold, was habe ich zu erwarten, wenn ich Ihnen tatsächlich beweise, dass dieser Jesus da», sie zeigte mit der Fernbedienung auf die Leinwand, «der Sohn von Maria und Josef ist.»
    Henderson löste die Umklammerung, ließ aber seine Hände auf ihren Schultern.
    «Alles können Sie dann von mir haben. Alles, was Sie wollen.»
    Er flötete es geradezu wie ein verliebter Gockel, und Theresia wurde rot. Engel amüsierte sich über das Theater, und auch die anderen konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    Als hätte er auf einmal bemerkt, dass er sich nicht gerade distinguiert verhielt, drehte sich Henderson auf dem Absatz um und ging zurück zu seinem Platz.
    Theresia räusperte sich, nahm die Akte, die bei Hendersons körperlicher Attacke zu Boden gefallen war, wieder auf und blickte starr hinein, als sie weitersprach.
    «Die Geschlechtsbestimmung, die Harold so aus dem Häuschen gebracht hat, war eine leichte Übung. Zumindest wissen wir jetzt aber, dass die Ossuarien mit männlichem Namen tatsächlich auch männliche Knochen enthielten. In einem der unbeschrifteten Ossuarien war eine Frau, und in drei waren Männer bestattet. Was folgern Sie daraus, Wolfram?»
    Engel war nicht darauf gefasst, angesprochen zu werden, und antwortete spontan:
    «Es spricht nichts mehr dagegen, dass in den Ossuarien Menschen mit den jeweiligen Namen bestattet wurden.»
    Kaum hatte er den Satz beendet, bereute er es, denn beweisen konnte man so etwas nie. Jetzt aber war es zu spät, für eine differenzierte Aussage, denn Henderson Stimme überschlug sich fast, als er rief:
    «Unser Knochenmann hieß also Jesus, so viel steht fest!»
    Alle in der Runde nickten, und auch Engel wusste nicht, wie er einen Zweifel begründen sollte.
    Theresia nahm erneut die Fernbedienung in die Hand.
    «Wir haben es nicht bei dieser Geschlechtsbestimmung bewenden lassen, sondern gleichzeitig versucht, das Alter unserer Knochenreste und damit den Todeszeitpunkt genauer zu bestimmen. Die Ergebnisse, die ich Ihnen gleich zeige, haben aber eine hohe Fehlertoleranz. Schließlich haben wir die Labore zu großer Eile getrieben.»
    «Labore?»
    Peter Deary meldete sich zu Wort.
    «Sie haben Material nach draußen gegeben?»
    Theresia sah ihn

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