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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Schulklasse nach einem gelungenen Witz des Klassenclowns. Hawley stoppte diesen Frohsinn mit seinem tiefen Bass.
    «Bitte, lassen Sie Wolfram weiterreden. Sie werden sehen, es ist wichtig.»
    Engel deutete eine leichte Verbeugung in Richtung des schwarzen Hünen an und fuhr fort:
    «Es gibt eine ganze Reihe von Quellen, die uns relativ genau Aufschluss darüber geben, wie eine Kreuzigung ablief. Zunächst zum Kreuz selbst.»
    Auf der Leinwand erschienen verschiedene christliche Kreuze unterschiedlicher Kunstepochen.
    «In der christlichen Ikonografie des Abendlandes hat sich die sogenannte lateinische Form des Kreuzes durchgesetzt, bei welcher der Kreuzarm, das Patibulum, ein Stück unterhalb des Endes des Kreuzstammes Stipes befestigt war. In der uns interessierenden Zeit verwendete man aber Kreuze, die wie der Buchstabe T aussahen. Das Patibulum wurde in einer Kerbe am oberen Ende des Stipes befestigt.»
    Auf dem Bildschirm erschien zunächst ein aufrecht stehender Balken, auf den ein Querbalken aufgesetzt wurde. Engel ärgerte sich in diesem Moment, eine solche animierte Darstellung gewählt zu haben. Es machte mehr den Eindruck einer Bastelanleitung für Kinder als eines wissenschaftlichen Vortrages.
    «Bevor wir uns mit der Frage beschäftigen, wie die Kreuzigung an sich vonstatten ging, sollten wir uns noch mit dem gesamten Ablauf beschäftigen. Der eigentlichen Hinrichtung ging das Auspeitschen voraus. Nachdem das Gericht das Todesurteil verkündet hatte, wurde der Verurteilte an einen Pfahl im Hof des Gerichts gebunden. Die Geißelung wurde mit einer Peitsche vorgenommen, die etwa so ausgesehen haben könnte.»
    Es erschien die Abbildung einer Geißel, die aus mehreren Lederriemen bestand, in die scharfkantige Knochen und Bleistücke eingeknüpft waren.
    «Nach jüdischem Gesetz durften maximal vierzig Schläge verabreicht werden. Ob sich die Römer an diese Beschränkung hielten, wissen wir nicht. Allerdings reichten vierzig Schläge aus, um einen Mann schwer zu verletzen.»
    Engel griff zu einem Glas Wasser und trank einige Schlucke.
    «Nach dieser Folter war jeder Verurteilte dem Tod näher als dem Leben. Von der folgenden Verspottung durch die Soldaten wird er ebenso wenig mitbekommen haben wie von der Dornenhaube, die man ihm anschließend aufsetzte.»
    «Sie meinen, die Geschichte mit der Dornenkrone stimmt?»
    Van Damme, der den ganzen Abend noch kein einziges Wort gesagt hatte, kratzte sich am Kopf.
    «Schwer zu sagen», antwortete Engel, «aber möglich wäre es. Relativ sicher ist auf jeden Fall, dass der Verurteilte das Patibulum eigenhändig zum Hinrichtungsplatz schleppen musste. Das Holzstück dürfte etwa fünfzig Kilo gewogen haben, und die meisten werden unter dieser Last nach der Folterung schier zusammengebrochen sein.»
    Engel machte eine kurze Pause und tippte auf der Tastatur seines Notebooks herum. Als er die Folie gefunden hatte, die er suchte, fuhr er fort:
    «An der Hinrichtungsstätte angekommen, ging alles schnell. Normalerweise entkleideten die Soldaten den Gefangenen vollständig, den Juden ließ man allerdings ein Lendentuch. Das Patibulum wurde auf den Boden gelegt und die Handgelenke mit schweren, viereckigen Eisennägeln daran fixiert.»
    «Moment!»
    Van Damme war aufgesprungen.
    «Habe ich da jetzt irgendetwas falsch verstanden? Sie sprechen von Nägeln? Ich habe doch noch vor Kurzem in einem Fernsehbeitrag gehört, dass der Verurteilte mit Seilen und nicht mit Nägeln am Kreuz befestigt wurde.»
    Der Holländer schien aufgebracht, und auch unter den anderen Anwesenden trat Unruhe ein. Lieb gewordene Vorurteile gerieten ins Wanken. Konnte es sein, dass die Bibel doch recht hatte?
    «Das stimmt, Eric, es gab beide Methoden. Allerdings wissen wir ziemlich sicher, dass zurzeit Jesu in Palästina genagelt wurde. Es gibt hierzu einen eindeutigen Grabungsfund.»
    Henderson wedelte mit beiden Händen.
    «Bitte, Wolfram, mach weiter!»
    «Nachdem die Hände festgenagelt worden waren, wurde das Patibulum am aufgerichteten Stipes hochgezogen und befestigt. Der damit beauftragte Legionär nahm die Beine des Opfers und beugte sie. Anschließend presste er die Fersen aneinander und schlug einen langen Nagel hindurch ins Holz.»
    Sarah Goldberg stöhnte auf.
    «Ehrlich, ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Sah Jesus jetzt so aus, wie wir ihn von den Kreuzen in den Kirchen kennen?»
    «Nein, es sah anders aus. Und zwar so.»
    Engel drückte eine Taste auf seinem Notebook, und auf

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