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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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nichts in der Hand hatten. Es würde Henderson leicht fallen, dafür eine plausible Erklärung zu finden. Sie brauchten dringend weitere Anhaltspunkte.
    «Was hat Sanika dir genau gesagt?»
    Sarah überlegte einen Augenblick.
    «Sie fragte mich, ob ich nicht auch der Meinung sei, dass alles in diesem Fall einfach viel zu gut zusammenpasse.«
    «Was meinte sie damit? Bis jetzt kann ich nicht erkennen, dass wir bei der Untersuchung des Grabes und der Funde die wissenschaftliche Sorgfalt vernachlässigt hätten.»
    «Das habe ich ihr auch geantwortet, Wolfram.»
    «Und was meinte Sanika dazu?»
    «Dass alles möglicherweise völlig anders sei, als es den Anschein habe.»
    Engel steckte den winzigen Memory-Stick in die Hosentasche und stand vom Schreibtischstuhl auf.
    «Du weißt, was das bedeuten würde?»
    Sarah schluckte, und innerhalb einer Sekunde verschwand jegliche Farbe aus ihrem Gesicht. «Er muss uns töten. Alle Mitglieder des Teams. Ohne Ausnahme.»
    Engel nickte. Dieser Gedanke war ihm sofort gekommen, als er das Datum gesehen hatte. Jetzt musste er aber verhindern, dass Sarah zusammenbrach, denn sie schwankte und musste sich an der Schreibtischkante festhalten.
    «Noch ist es nicht so weit, noch braucht er uns. Die bisherigen Ergebnisse sind viel zu dünn, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Er würde sich lächerlich machen mit der Behauptung, das Grab der Heiligen Familie entdeckt zu haben. Das ist unsere Chance. Wir brauchen weitere Hinweise. Sieh nach, ob du im Schlafzimmer noch irgendwelche Aufzeichnungen findest.»
    Engel wartete, bis Sarah in den Nebenraum gegangen war, ehe er sich zu Sanikas Leiche hinunterbeugte. Der Geruch des Erbrochenen löste einen Würgereiz aus, den er nur mit Mühe unterdrücken konnte. Hendersons Assistentin trug wie stets einen Sari. Es gab keine Taschen, also klopfte er vorsichtig das seidene Kleidungsstück ab und griff in jede Stofffalte. Nichts. Die rechte Hand der Toten lag flach auf dem Boden. Er hob sie an, auch darunter befand sich nichts. Die linke Hand war zu einer Faust geschlossen. Zum Glück hatte die Totenstarre noch nicht eingesetzt, und sie ließ sich leicht öffnen. Die Hand war leer. Engel atmete tief durch und schob seine linke Hand unter den Körper der Leiche. Als er sie auf den Bauch drehte, entwich Luft aus Sanikas Darm, was sich wie ein letzter, tiefer Seufzer anhörte. Auf dem Boden, bisher vom Leichnam verborgen, lagen ein von einem Block abgerissener Zettel und ein Bleistift. Hatte sie vor ihrem Tod noch etwas notiert? Engel nahm den Papierfetzen und stand auf. «Kopfreliquiar» ‒ auch wenn die Schrift krakelig und unsicher war, bestand kein Zweifel.
    «Was gefunden?»
    Sarah stand in der Schlafzimmertür und starrte - immer noch leichenblass - auf den Leichnam. Engel nahm sie beiseite und drückte ihr den Zettel in die Hand.
    «Kannst du dir darauf einen Reim machen?»
    Sarah schüttelte den Kopf.
    «Hast du im Schlafzimmer etwas gefunden?»
    «Nichts. Alles ordentlich und sauber. Klinisch rein, könnte man fast sagen.»
    Engel drehte sich noch einmal im Zimmer um. Sie hatten überall gesucht. Entweder hatte Sanika noch woanders verdächtige Unterlagen gesammelt, oder jemand war ihnen zuvorgekommen.
    «Lass uns gehen. Es wäre nicht gut, wenn uns hier jemand finden würde.»
    Engel schob Sarah vor sich her in den dunklen Flur. Leise schloss er die Zimmertür.
    «Versuch zu schlafen.»
    Sarah nickte, aber Engel wusste, dass sie genau wie er keine Ruhe finden würde.
     
    ***
     
    Wolfram Engel schreckte aus einem leichten Schlummer, in dem ihm immer wieder die Leiche von Sanika Nuri erschienen war. Er tastete nach dem Wecker, um dieses penetrante Summen abzustellen, doch so sehr er auf die kleine Taste einschlug, das Geräusch hörte nicht auf. Er nahm die Uhr in die Hand und öffnete die Augen. Sechs Uhr vierzehn. Die grell leuchtenden Ziffern jagten ihm einen stechenden Schmerz in den Kopf. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Summen. Es war nicht der Wecker, das Telefon klingelte. Vorsichtig, um seinen Kopfschmerz nicht zu verstärken, richtete er sich auf und griff nach dem Hörer.
    «Hallo Wolfram», flüsterte ihm Sarah ins Ohr, «es geht los.»
    Sie wartete auf eine Reaktion, als Engel aber stattdessen nur ein Grunzen von sich gab, fuhr sie fort:
    «Henderson bittet das gesamte Team, sich sofort in der Bibliothek zu versammeln. Wobei: Bitten ist hier das falsche Wort. Er befiehlt uns dorthin.»
    Erneut machte Sarah

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