Im Antlitz des Herrn
nachwies, die Altersbestimmung des Tuchs im Jahr 1988 manipuliert zu haben? Die Öffentlichkeit würde in diesem Fall über sie herfallen.
«Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung zu dieser Angelegenheit. Sollten wir unsere Haltung zum Heiligen Tuch nicht doch überdenken?»
Der Bischof blickte ihn erstaunt an. Was hatte das mit ihrem momentanen Problem zu tun? Ihre Vorgänger hatten jahrzehntelang um die offizielle Haltung der Amtskirche in dieser Frage gerungen. Schweren Herzens hatte man sich am Schluss durchgerungen, das Tuch als Fälschung zu erklären. Es war niemandem leicht gefallen, das Antlitz des Herrn zu verleugnen. Alle Beteiligten kamen sich vor wie Petrus nach dem dritten Hahnenschrei. Aber alles war besser als eine Debatte darüber, dass der Herr noch gelebt haben muss, als man ihn ins Grab legte. Schlussendlich hatte auch der Papst nachgegeben, der am Anfang der Debatte noch anderer Ansicht war. Bis zuletzt hatte er argumentiert, dass die Abbildung auf dem Tuch die Auferstehung geradezu beweise. Die Entstehung des Bildnisses war nur durch eine gewaltige Energie erklärbar. Und sollte man nicht annehmen, dass bei der Auferstehung eine solche unvorstellbare Energie freigesetzt werde? Eigentlich ein schöner Gedanke, schoss es Legado durch den Kopf. Aber hatten sie jetzt nicht andere Probleme?
Di Lucca ließ nicht von diesem Thema ab. Erklärten sie jetzt, dass der Vatikan weitere umfangreiche Untersuchungen zuließe, weil man die Echtheit der Reliquie in Betracht ziehe, fräßen ihnen die Medien aus der Hand. Da täte Henderson sich schwer, seine Geschichte unter die Leute zu bringen.
Legado brachte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück.
«Selbst wenn wir unsere Haltung in dieser Frage ändern wollten, ginge dem ein monate-, ach, was rede ich, ein jahrelanger Abstimmungsprozess innerhalb der Kurie voraus. Heute oder morgen haben wir nichts davon.»
Der Bischof hatte recht. Manchmal trieb es di Lucca zur Verzweiflung, wie lange einfachste Dinge dauern konnten.
Der Bischof hatte das letzte Stück Melone gegessen und wandte sich jetzt der Panna cotta zu.
«Was wird Henderson der Kommission präsentieren?»
«Die Gebeine Jesu.»
Legado verschluckte sich an dem ersten Bissen der Süßspeise und hustete. Di Lucca war versucht, ihm auf den Rücken zu klopfen, unterließ es jedoch.
«Hat er sie tatsächlich?»
«Natürlich nicht.»
Der Bischof hustete noch einmal und legte angewidert den Löffel zu Seite.
«Dann ist doch alles gut, oder?»
Nein, nichts war gut. Vor allem beunruhigte di Lucca, dass sie kaum verlässliche Informationen hatten. Irgendetwas musste Henderson in der Hand haben, das er der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Andernfalls würde er nicht so selbstsicher auftreten.
Der Bischof griff nach der Klingel auf dem Tisch, und nach wenigen Sekunden erschien ein Hausbediensteter, bei dem er einen Kaffee bestellte und ausdrücklich darauf hinwies, dass er keinen Espresso, sondern einen «caffee americano» wünschte. Danach konzentrierte er sich wieder auf di Lucca.
«Du meinst, dass er uns irgendwelche alten Knochen als Gebeine des Herrn präsentieren wird?»
Di Lucca nickte.
«Wobei er sicherlich noch ein bisschen Hokuspokus auffährt. Allzu viel braucht es nicht, um die Öffentlichkeit zu täuschen.»
Der Bischof saß versunken in seinem Sessel. Di Lucca hatte recht. Die Kirche hatte es darin zur Meisterschaft gebracht. Wie viele Reliquien waren im Laufe der Zeit hergestellt und mit ein wenig Propaganda und Verschleierung als unbestreitbar echt dargestellt worden? Noch heute pilgerten Hunderttausende an die Orte, wo diese Gegenstände aufbewahrt wurden. Heutzutage hatte es ein Fälscher im Prinzip viel einfacher. Er konnte moderne technische Mittel benutzen, und die Nachricht von einem sensationellen Fund umrundete in Sekunden den Erdball. Legado seufzte. Er hasste es, Gewalt anzuwenden. Er war ein Mann des Geistes, der die intellektuelle Auseinandersetzung suchte. Aber manchmal ließ es sich nicht vermeiden.
«Was auch immer es ist, John, es darf nicht an die Öffentlichkeit.»
Di Lucca stimmte ihm uneingeschränkt zu und war froh, den Bischof nicht erst überzeugen zu müssen, härtere Maßnahmen zu ergreifen. Die größte Schwierigkeit lag darin, dass er bis jetzt nicht wusste, wo sich der Grabungsfund befand. Das herauszufinden, war die vordringlichste Aufgabe. Die Nachrichten aus Griechenland waren gut. Engel würde reden, wenn er erfuhr, dass sie seine
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