Im Auftrag der Liebe
an deren Spitze ich nichts zu suchen hatte; irgendwo in den Wäldern irrte ein kleiner Junge herum, und ich konnte nichts tun, um bei der Suche zu helfen; in einer Vision hatte ich einen Ring am Finger einer Toten gesehen, die vermutlich ermordet worden war; ich hatte mich vor Sean Donahue lächerlich gemacht; und meine Großmutter wollte mich mit einem Metzger namens Butch verkuppeln.
Und das Schlimmste von allem war das gestochen scharfe Bild, das ich beim Händeschütteln mit Sean gesehen hatte … nämlich ein Bild von uns beiden.
Im Bett. Nackt.
»Morgen läuft es bestimmt schon besser.«
Das Gefühl hatte ich eigentlich nicht.
◊ 4 ◊
R aphael setzte mich vor dem Long Wharf Marriott ab. Von dort aus war es nur ein kurzer Fußmarsch bis zur Anlegestelle der Fähre an der Rowes Wharf, zwischen dem Hotel und dem New England Aquarium. Jetzt, da die Sonne untergegangen war, wurde es ziemlich schnell kalt.
Ich versprach Raphael, ihn anzurufen, sollte ich etwas brauchen.
»Denk mal über meinen Vorschlag nach.«
»Welchen?«
»Na, dass du jemanden für mich suchst. Es ist an der Zeit.«
Die herzerweichende Einsamkeit in seiner Stimme schien mich zu zerreißen und machte jeden Vorsatz zunichte, mich aus seinem Liebesleben herauszuhalten. Auch wenn ich kein Talent für die Partnervermittlung hatte, konnte ich für ihn vielleicht doch ein paar Blind Dates organisieren, damit er sich langsam an das Thema herantastete.
»In Ordnung«, versprach ich und küsste ihn auf die Wange.
Er lächelte. »Los, da kommt schon die Fähre.«
Ich betrat den Kai, machte einen Bogen um Verkäufer und Touristen, die im Weg herumstanden, und ging an Bord. Anstatt mich ins Innere in die warme Kabine zu flüchten, ging ich an Deck und zog meinen Trenchcoat enger.
Zahllose Gedanken schwirrten in meinem Kopf.
Möwen kreisten am Himmel, als das Schiff wendete und auf den Hingham Shipyard zuhielt.
Meine Gedanken drehten sich um Sean Donahue und das, was ich gesehen hatte, als wir uns berührten.
Wir beide. Im Bett. Zusammen. Nackt.
War das wirklich eine Vision gewesen? Oder einfach nur Wunschdenken?
Gut, er war ein attraktiver Mann. Und ich fühlte mich eindeutig zu ihm hingezogen.
Aber die Vision war so klar gewesen. So wirklich.
Obwohl die Kälte an den Fingern schmerzte, umfasste ich die Reling.
Wenn es tatsächlich eine Vision gewesen war, dann konnte ich das nicht erklären, ich verstand es nicht. Ich umklammerte das Geländer noch fester.
Meine übersinnliche Fähigkeit funktionierte eigentlich nur bei verlorenen Gegenständen, aber damit hatte dieses Bild von mir und Sean nun wirklich nichts zu tun. Nicht einmal annähernd.
Ich holte frustriert mein Handy heraus und tat das Einzige, was mir in diesem Moment in den Sinn kam.
Ich rief meine Mutter an.
Über mir spielte ein zunehmender Mond mit flauschigen dunklen Wolken Verstecken. Streifen seines Lichts tanzten auf dem Wasser. Normalerweise erschien mir dieser Anblick so friedlich. Im Moment war ich aber nicht auf Ruhe und Frieden eingestellt, trotz der zauberhaften Aussicht.
Mum ging nach dem dritten Klingeln ran. Sie wartete mit Dad in Miami auf ihren Anschlussflug nach St. Lucia.
»Ist was passiert, LucyD?«
Mein Spitzname brachte mich zum Lächeln. Meine Mutter und Dovie hatten mich LucyD genannt, so lange ich mich erinnern konnte. Es war eine Abkürzung für den Beatles-Song Lucy in the Sky with Diamonds , dem ich meinen Namen verdankte.
»In gewisser Weise schon«, sagte ich. »Ich hatte eine Vision.«
»Hat jemand etwas verloren?«
Vor mir tauchten Bilder des Diamantringes und des Skeletts auf. Ich erschauerte – jedoch nicht wegen der Kälte.
Dieses Problem würde aber erst einmal warten müssen.
»Nein«, antwortete ich. »Ich hatte eine Vision … von der Zukunft.«
»Bist du sicher?«
»So ziemlich.«
»Wie schön!«
Typisch meine Mutter, unbeeindruckt wie immer. Das Schiff glitt durchs Wasser. Die Lichter am Ufer glitzerten hübsch. »Ist das wirklich schön? Meinst du, so etwas ist möglich? Oder hatte ich vielleicht eine Halluzination?«
Ihr Lachen munterte mich nicht gerade auf. »Soweit ich weiß, hattest du noch nie Halluzinationen. Du gehörst nicht zu den Menschen, die sich Dinge einbilden. Eigentlich ein Wunder, wenn man sich deine Vorfahren ansieht.«
Ich war mir nicht sicher, ob sie ihre Seite der Familie oder die meines Vaters meinte.
Es hätte in keinem Fall die Falschen getroffen.
Sie redete weiter: »Du kennst dich
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