Im Auftrag der Väter
ging nun nicht mehr zusammen, Lončar und Eisenstein in Lodz und dann nach Jugoslawien zurückgekehrt?
Nein, sagte Eisenstein mit leiser Stimme, Heinrichs Eltern, Onkel, Tante sowie er und seine Frau seien nicht nach Litzmannstadt gegangen, hätten die Heimat nicht verlassen, seien in Kroatien geblieben, ein schrecklicher Fehler, den er sich nie verziehen habe, wenige Monate später hätten nur noch Heinrich, dessen Onkel und er selbst gelebt.
Schutzberg Anfang November 1942 , das Leben im Krieg ging seinen Gang, das Leben vor der Umsiedlung, deren Termin noch nicht öffentlich bekannt gegeben worden war. Ein Kind wurde geboren, konnte in der Heimat nicht mehr getauft werden, die Schutzkirche war bereits geräumt. Am Spätnachmittag des 5 .Novembers gab Pfarrer Sommer bekannt, dass die aus knapp zwei Dutzend Männern bestehende Absiedlungskommission aus Slawonisch Brod, die mittlerweile im Dorf angekommen war, festgelegt hatte, man habe Schutzberg am folgenden Tag um sechs Uhr
morgens zu verlassen. Ein Abend, eine Nacht, um auf die Pferdewagen zu laden, was sich in Jahren, Jahrzehnten angesammelt hatte, am Morgen zogen die Schutzberger los, eine Kolonne von mehr als einhundertzwanzig Wagen, begleitet von Mitgliedern der Deutschen Mannschaft, der bewaffneten Schutztruppe der Volksdeutschen.
In Derventa ließ man die Pferde und Wagen zurück, stieg in Eisenbahnwagen, im kroatischen Slawonisch Brod wurden die Schutzberger in zwei Gruppen geteilt, die einen setzten die Reise mit dem Zug fort, die anderen blieben über Nacht. Die Schwarzers und die Eisensteins gehörten der zweiten Gruppe an und hatten da längst geplant, sich auf eigene Faust zu Fuß nach Norden durchzuschlagen, nach Essegg, wo Eisensteins Frau Verwandte hatte. In jener Nacht wurde Heinrich mit einem weiteren Neugeborenen aus Schutzberg von Pfarrer Sommer getauft, die letzten Schutzberger Täuflinge. Am frühen Morgen waren die Schwarzers und die Eisensteins schon ein paar Kilometer von Slawonisch Brod entfernt, einige Tage später erreichten sie Essegg, Deutsche im Unabhängigen Staat Kroatien, in dem sich Ustasche, deutsche Wehrmacht und SS , kommunistische Partisanen, Četnik-Partisanen mit unerhörter Grausamkeit bekämpften.
Eisenstein schwieg, trank, räusperte sich.
»Waren Sie mal wieder dort?«, fragte Louise. »In Schutzberg?«
Er verneinte. Die Heimat war für ihn verloren, da hatte er nicht auf Besuch kommen wollen, hatte nicht Fremder sein wollen in seiner Straße, vor seinem Haus, unter seinem Himmel. Nein, Schutzberg gab es nicht mehr, und einen Ort, der nicht mehr existierte, konnte man nicht besuchen.
Das Leben im Krieg ging weiter, bis der faschistische Ustascha-Staat 1945 zusammenbrach, der Krieg auf dem Balkan entschieden war. Ein Exodus Richtung Norden begann, kroatische Soldaten, Wehrmacht, SS -Angehörige, serbische Četniks, kroatische und einige wenige deutschstämmige Zivilisten, darunter die Schwarzers und die Eisensteins, die keine Zukunft mehr sahen unter den »Mörderbanden Titos«, denen die Donauschwaben als fünfte Kolonne Hitlers galten, ganz gleich, ob sie mit dem Reich sympathisiert hatten, wie viele, oder nicht, wie viele andere. Und sie sollten recht behalten, sagte Eisenstein, denn nun begann der Genozid. Enteignung, Vertreibung, Entzug der staatsbürgerlichen Rechte. Weitere Flüchtlingsströme, denen nur Deutschstämmige angehörten, bildeten sich, wurden in Slowenien abgefangen, zur Umkehr gezwungen, die Deutschen in die Vernichtungslager gebracht ...
Ähnlich erging es den Schwarzers und Eisensteins, die mit den Kroaten flohen. Heftige Kämpfe begleiteten die Flucht, vor allem in Slowenien. Im Mai 1945 überschritt der Menschenstrom die österreichische Grenze, wurde in Kärnten vor Bleiburg auf dem Bleiburger Feld von den Briten gestoppt, fast zweihunderttausend Menschen, das Tal schwarz von Leibern, sagte Eisenstein unter Tränen, seine schöne Stimme zitterte.
Er schwieg.
Verhandlungen mit den Briten, die Kärnten besetzt hielten, begannen, sagte er dann, dazu kamen Offiziere der Partisanen, die die Auslieferung der Flüchtlinge verlangten. »Ein Tauziehen um das Leben Tausender«, sagte Andreas Eisenstein und schüttelte flehend den Kopf, »ich kann nicht erzählen, was dann geschah, ersparen Sie mir das, Sie müssen nur so viel wissen, dass die Tito-Kommunisten das
Tauziehen gewannen, eine Woche nach Ende des Krieges, am 15 .Mai 1945 , übergaben uns die Briten. Heinrichs Vater und seine
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