Im Auftrag der Väter
von Carolas Beinen unter sich, ihre Hand, dachte, nur nicht loslassen ...
Dann verlor sie das Bewusstsein.
III
Orte der Schmerzen
21
» HEY .«
»Hm?«
»Alles okay?«
»Frag nicht jede halbe Stunde.« Sie lächelte müde.
Die dritte Woche Günterstal, die dritte Woche bei Richard Landen. Sie saß hinter dem Haus an dem Holztischchen, wie damals, im Sommer 2003 . Wie damals regnete es.
»Okay.« Richard Landen strich ihr über die Schulter, ging ins Haus zurück.
Er hatte den wilden Garten gezähmt, um Ordnung in das Leben nach Tommo zu bringen. Dafür herrschte im Haus nicht mehr die penible Landen’sche Ordnung. Er hatte auch ein wenig Unordnung in das Leben nach Tommo bringen wollen.
Ansonsten alles wie gehabt in Günterstal. Die Weide neben dem Haus, die nach dem Dach zu greifen schien. Der Schuppen auf der anderen Seite, der als Teehaus gedient hatte, noch immer diente. Tee trinke ich ja noch, hatte Richard Landen in aller Unschuld gesagt.
Alles okay?
Nein, noch nicht.
Drei Wochen Günterstal, und noch immer spürte sie das Zucken von Carolas Hand in ihrer.
Sie schlief vor allem tagsüber. Nachts, in der Dunkelheit, im Halbschlaf, kamen die Erinnerungen. Lončar in der Küche der Niemanns, der Schuss. Carola, die lautlos starb, das plötzliche Dunkel um sie herum. Aufwachen im Krankenhaus unter einer Beatmungsmaske. Mats Benedikt, die Brille auf der Stirn, neben ihr, ohne zu sprechen, minutenlang. Sag’s endlich, murmelte sie.
Henriette draußen im Gemüsegarten. Carola in der Küche, das weißt du.
Weil
sie
Lončar nach Au geführt hatte.
Das sagte Mats Benedikt natürlich nicht, das dachte sie, im Taumel der Erinnerungen.
Philip? Bei Verwandten in Berlin.
Paul Niemann? In einer psychiatrischen Klinik. Der Schock.
Spätestens da schrak sie nachts hoch. Sie setzte sich ans Fenster, hielt sich mit dem Blick an der dunklen Weide fest.
Richard Landen hatte Tommos ehemaliges Zimmer für sie hergerichtet. Ich möchte eigentlich, dass du bei mir schläfst, hatte er gesagt. Ich muss da allein durch, hatte sie erwidert.
Drei Wochen, noch immer war sie nicht durch.
Doch allmählich ging es ihr besser. Allmählich konnte sie an die Zukunft denken.
Sie würde die Wohnung in der Gartenstraße kündigen. Vielleicht ein paar Wochen Urlaub an den Krankenstand dranhängen. Endlich mal wieder wegfahren.
Dann zurück in den Dienst.
Manchmal telefonierte sie mit den Kollegen.
Wann kommst du zurück?, hatte Alfons Hoffmann vor einer Woche gefragt. Ist nicht dasselbe hier ohne dich.
Du fehlst uns, hatte Anne Wallmer gesagt.
Das war es, was ich gemeint habe, hatte Mats Benedikt gesagt. Du steckst da zu tief drin.
Du wirst dich von so was ja wohl nicht kleinkriegen lassen, hatte Rolf Bermann gesagt.
Thomas Ilic hatte gefragt, ob er sie besuchen könne.
»Keine gute Idee.«
»Aber hin und wieder anrufen?«
»Anrufen schon, ja.«
»Und Postkarten aus dem Urlaub schicken.«
»Du machst Urlaub?«
Sie hatten ein wenig gelacht.
Die beiden Kollegen im Krankenstand, scherzten miteinander.
Mit Bob hatte sie nicht gesprochen, Bob war fort. Er hatte sich versetzen lassen, irgendwohin in die Provinz, wie immer hatte sich ein Deal einfädeln lassen. Geh irgendwohin, wo keiner hinwill, und wir sehen davon ab, dich zu feuern.
Fehlersuche, Sündersuche. Bob hatte den Kopf hinhalten müssen. Die Niemanns hätten fortgebracht werden müssen. Bob hatte es nicht geschafft, sie zu überzeugen.
Das war das eine.
Das andere: Ein alter Mann in einem fremden Land, ein Einzelgänger ohne jegliche Unterstützung, spätestens seit sie Andreas Eisenstein gefunden hatten. Sie hatten seine Lebensdaten, seine Namen, seine DNA , seine Fingerabdrücke gehabt, und sie hatten von seinem Vorhaben gewusst: zu töten, vermutlich Frau und Tochter Niemann.
Trotzdem war es ihnen nicht gelungen, ihn zu finden. Ihn aufzuhalten.
Das wog natürlich schwerer.
Im Januar würde der neue Kripochef kommen. Seinen Namen kannte sie noch nicht. Es interessierte sie auch nicht.
Ist es ganz weg?, sagte Carola in ihrem Kopf. Ist alles weg?
Drei Wochen, noch immer kamen die Erinnerungen, als wäre es gestern geschehen.
Am Beginn der zweiten Woche hatte Richard Landen sie zum ersten Mal geküsst.
»Ich möchte dir keine falschen Hoffnungen machen«, hatte sie gesagt.
»Okay.«
»Willst du trotzdem mit mir schlafen?«
»Ja.«
»Schön.«
»Schön und merkwürdig.«
»Ja.«
Sie fand, dass er ein ganzes Stück älter wirkte als
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