Im Auftrag der Väter
Satz, den Paul Niemann gesagt hatte.
Ein paar Monate noch, und sie hätten bleiben dürfen.
Das Warten ging weiter. Sie saß wieder auf dem Holzboden, ans Holzbett gelehnt, rief unter Rücken- und Hinternschmerzen die Kollegen vor dem Haus an, rief Jenny Böhm an, die in ihrem Hotelbett geschlafen hatte und sich trotzdem freute und wie ein Wasserfall zu reden begann, doch Louise unterbrach sie, beendete das Gespräch rasch, wie sollte sie sich auf mögliche Geräusche konzentrieren, wenn sie telefonierte?
Sie nahm die Unterlagen über die Donauschwaben zur Hand, legte sie weg, nicht das Richtige, um wach zu bleiben.
Trank lauwarmen, zu süßen Kaffee.
Komm endlich, dachte sie. Komm doch endlich.
Er kam gegen Viertel nach sieben.
Sie stand draußen vor dem Haus in der Morgendämmerung, reichte Breuer und Schuhmacher Kaffee und Brötchen, als der erste Schuss fiel. Sie hörte Carola schreien, Philip schreien. Noch während sie sich umdrehte und losrannte, fiel der zweite Schuss.
»Im Garten, hinter dem Haus!«, schrie sie und riss die Pistole aus dem Hosenbund.
Flüche hinter ihr, eine Autotür wurde aufgestoßen, Breuers Stimme, die lauthals Verstärkung anforderte. Sie sah Schuhmacher neben sich, er rannte Richtung Hausecke.
Im Haus schrie Carola, schrie Philip. Paul und Henriette Niemann waren nicht zu hören. Er bringt alle um, dachte sie in Panik, er löscht die ganze Familie aus!
Sie stieß die Haustür auf.
Ununterbrochen die Schreie der Kinder ... Sie betete, dass sie nicht abbrachen, dass nicht ein weiterer Schuss fiel und die Schreie abbrachen.
Dann war sie im Haus, stürzte in die Diele. Die Schreie kamen aus der Küche, Carola, Philip, dann sah sie sie, Carola in der Mitte des Raumes, die Hände vor den Mund pressend, Philip an der geschlossenen Glastür zum Garten, die Hand noch am Türrahmen, als hätte er sie eben zugemacht. Beide hatten den Blick nach draußen gerichtet, weinten, schrien, Henriette, dachte sie, wo ist Henriette, und rief, von der Tür weg, Philip!, da hörte sie Schuhmachers Stimme von draußen, er kommt rein, Bonì, pass auf, er kommt rein!
Zwei Schüsse aus einer anderen Waffe, Schuhmachers Dienstwaffe.
»Pass auf, Bonì!«
Sie zerrte Philip von der Tür weg, griff nach Carolas
Hand, wollte die beiden in die Diele ziehen, als vor der Glastür urplötzlich ein Schatten auftauchte, die Scheibe barst, Glassplitter durch den Raum prasselten, dann stand Antun Lončar vor ihnen, an den Händen und im Gesicht blutend, in den Augen einen ruhigen, entrückten Blick, in der Hand eine Pistole. Sie stieß Philip von sich, hob die Heckler & Koch, schoss, aber Lončar hatte sich schon zur Seite bewegt. Dann war er dicht vor ihr, packte Philip an den Haaren, richtete die Pistole auf Carola, die abrupt verstummte.
Sah Louise an.
»Okay!«, rief sie, um die Schreie der Kinder zu übertönen, legte ihre Waffe auf den Boden. »Okay!«
Lončar nickte, zerrte Philip zu sich, der schreiend um sich schlug. Sein Blick ging an ihr vorbei, und sie wandte sich um, dachte nur, Zeit gewinnen, gleich sind Breuer und Schuhmacher da, die Streifen ...
Paul Niemann auf der Treppe, im Schlafanzug, die Hände krallten sich um das Geländer. Er hatte die Brille nicht auf, sah vielleicht nicht einmal richtig, was da geschah.
Aber natürlich wusste er es.
Sie wandte sich wieder Lončar zu, dessen Blick noch auf Paul Niemann lag, bat ihn mit leiser Stimme, es nicht zu tun, sie können doch nichts dafür, es macht Biljana und Snježana doch nicht wieder lebendig, tun Sie es nicht, Antun,
molim
...
Lončar sah sie an, einen Arm um Philips Hals, die Waffe noch immer auf Carola richtend. Das hagere, verwitterte Gesicht, das sie nur von Fotos gekannt hatte, war kaum dreißig Zentimeter von ihr entfernt, es wirkte jetzt anders als auf den Bildern, ruhig, fast entspannt, und in den Augen lag erschöpfte Zufriedenheit.
An den Augen erkannte sie, dass Lončar schon lange nicht mehr Teil dieser Welt war.
»Molim«,
flüsterte sie.
Dann fiel der Schuss, und sie spürte Carolas Hand krampfartig zucken, hielt die Hand fest umklammert, sah nicht hin, nein, dachte sie und schloss die Augen, nein, dann wurde sie von Carolas Gewicht zu Boden gezogen, fiel, ließ die Hand nicht los, nur nicht loslassen, dachte sie, als sie mit der Schulter auf den Boden prallte, nicht loslassen, dann schlug sie mit dem Kopf auf, spürte die Ohnmacht kommen, und dass plötzlich keinerlei Kraft mehr in ihr war, spürte eines
Weitere Kostenlose Bücher