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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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viertausend Einwohnern in Kärnten, zwischen Völkermarkt und der slowenischen Grenze, umgeben von Bergen und Wäldern, zu Füßen eines Schlosses gelegen, das sie im Dunkel nur erahnen konnte. Ein trister Ort, kam es ihr vor, während sie der Durchgangsstraße langsam folgte, aber vielleicht lag das am Regen und der Dunkelheit.
    Halb zehn abends, auf den Bergen schimmerte matt der Schnee.
    Sie mietete sich in einem düsteren Gasthof an der Durchgangsstraße ein. Eine blonde, dickliche Frau reichte ihr den Zimmerschlüssel, ohne ein Wort zu sagen, ein gleichgültiges, lethargisches und doch irgendwie freundliches Provinzwesen.
    Sie stieg eine Treppe hinauf, folgte einem schmalen Gang, spürte, dass sie der einzige Gast war.
     
    Vier Wochen Günterstal, Richard Landen immer in der Nähe, viele Gespräche, Sex, das hatte gut getan, ein wenig abgelenkt von den schrecklichen Minuten in der Küche in Au mit Antun Lončar, von dem lautlosen Tod Carolas. Allein in Bleiburg, kehrten die Erinnerungen und Bilder und Gefühle mit Wucht zurück. Die halbe Nacht lang saß sie auf einem Plastikstuhl an der Balkontür, starrte auf die wenigen Lichter in der Dunkelheit, Straßenlaternen, Ampeln,
Neontafeln an Geschäften mit zum Teil slowenischen Namen, ein paar erleuchtete Fenster im Schloss, die nach und nach erloschen, versuchte, die Erinnerungen und Bilder und Gefühle ein bisschen zu kontrollieren, um nicht gleich in der ersten Nacht allein ins Bodenlose zu fallen.
    Dafür, fand sie, eignete sich dieser in der Dunkelheit so triste Ort gut, für den Sturz ins Bodenlose.
    Gegen zwei gab sie den Kampf auf, weinte um Carola, gegen vier war es ausgestanden.
     
    Am Morgen regnete es nicht mehr, aber der Himmel blieb bewölkt, und die Temperatur lag bei höchstens acht Grad. Sie hatte Bleiburg in der Dunkelheit Unrecht getan, das Zentrum, eine leicht ansteigende Straße mit gemütlichen zweistöckigen Häusern in Gelb und Grün und Rosa, war recht hübsch. Von hier aus sah sie auch das Schloss, das unmittelbar hinter den Häusern auf einem Hügel lag. Dort oben hatten im Mai 1945 , eine Woche nach Kriegsende, Unterhändler der britischen Armee, der kroatischen Armee und der jugoslawischen Partisanen über das Schicksal Zehntausender, vor allem kroatischer Soldaten und Zivilisten verhandelt, die ein paar Kilometer entfernt auf dem Bleiburger Feld ihres Schicksals geharrt hatten, eingekeilt zwischen Briten und Partisanen. Unter ihnen: ein zweieinhalbjähriger Junge namens Heinrich Schwarzer. Dort oben war entschieden worden, die Flüchtlinge auszuliefern.
    Hatte Alfons Hoffmann erzählt.
    Sie schloss den Anorak in der kühlen Dezemberluft, ging die Hauptstraße hinauf, die vor einer Apotheke endete.
    Hab ja jetzt wieder mehr Zeit, hatte Alfons Hoffmann während eines ihrer Telefonate gesagt. Er hatte nicht nur das Buch von Andreas Eisenstein gelesen. Auch über die
Donauschwaben hatte er sich informiert. Und über Bleiburg.
    Aber da gab es nicht so viel.
    In Deutschland gar nichts außer ein paar Artikeln. In England waren in den Siebzigern und Achtzigern ein paar Bücher erschienen. Es hatte einen Prozess gegeben. Ein Historiker hatte Dinge behauptet, die einem ehemaligen General missfallen hatten. Der Historiker hatte verloren.
    Der ehemalige Premierminister Harold Macmillan hatte irgendwie auch eine Rolle gespielt.
    Details interessieren mich nicht, Alfons, hatte sie gesagt.
    In einem der englischen Bücher hatten die Herausgeber sämtliche relevanten Telegramme, Briefe, Anweisungen, Befehle von britischen Armeeangehörigen vom Mai 1945 gesammelt. Es ging wohl darum, irgendjemanden von irgendwelchen Vorwürfen zu entlasten. So genau hatte Alfons Hoffmann das nicht verstanden. Er musste ja immer nach Plattling, wie sollte man da Englisch lernen.
    Kann ich eine Zusammenfassung haben, Alfons?
    Nein, das ging nicht. Das gab es nicht. Bleiburg blieb ein Rätsel. Beim einen war das Ganze so abgelaufen, beim anderen so, beim Dritten wieder anders. Der eine sagte: zwanzigtausend Flüchtlinge, der andere: achtzigtausend, der Dritte: hundertfünfzigtausend. Einer sagte: Massaker schon auf dem Bleiburger Feld. Der andere sagte: Massaker erst, als sie wieder in Slowenien waren. Der Dritte sagte: Überhaupt keine Massaker.
    Keine Zusammenfassung, keine Fakten, die historisch belegt waren und nicht von jemandem angezweifelt wurden.
    Nur eines war klar: dass die Briten Tausende kroatische Soldaten, die kapituliert hatten, und Zivilisten an die

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