Im Auftrag der Väter
Gemeinheiten des Kroatischen in sich zu versammeln schien – Trg bana Jelačića. Am K & K wäre sie beinahe vorbeigelaufen, ein schmales, dunkles Café hinter Glas. Auch hier nichts zu essen, auch hier spielte das Radio drei Stufen zu laut. Wie vereinbart, ging sie nach oben auf die Galerie. Eine Handvoll Tische, fast alle besetzt, vor allem junge Leute, keine einzelne Frau. Wände, Tischdecken und Stuhlpolster in dunklen Rottönen, an den Wänden Lampen mit grünen Schirmen und Dutzende gerahmte Schwarzweißfotos mit Porträts vermutlich bekannter Menschen. Sie hoffte, dass es Kroaten waren, denn sie erkannte keines der Gesichter. Sie setzte sich. Unten ging die Tür auf, eine zierliche dunkelhaarige Frau trat ein. Jeans, blaues Hemd, blasses Gesicht, eine unscheinbare, stille Frau ...
Louise erhob sich. Iva, obwohl sie sie nie gesehen hatte. Die Ähnlichkeit war frappierend.
Dann stand Iva lächelnd vor ihr. »Louise?« Sie nahm ihre Reisetasche. »Komm.«
Iva, die Schwester. 1991 in Belgrad, verheiratet mit einem Serben. Dann war Iva nach Stuttgart zu ihrer Familie gegangen, ihr Mann nach Bosnien in den Krieg. Später waren sie geschieden worden.
Die Fahrt nach Kehl vor eineinhalb Jahren, Thomas Ilic’ Monolog über den Krieg.
»Ist doch egal«, rief Iva über den Verkehrslärm hinweg.
»Er hätte es mir wirklich sagen können.«
»Entspann dich, du bist in Kroatien.«
»Ich
bin
entspannt.«
»Dann entspann dich noch mehr. Kroatien frisst dich auf, wenn du nicht
wirklich
entspannt bist.«
Iva lachte.
So unscheinbar im einen Moment, so fröhlich und sympathisch im nächsten.
Iva Ilic.
Zehn Minuten lang liefen sie durchs Zentrum, Iva ein Wirbelwind, wenn sie in Bewegung war, und völlig reglos, wenn sie stand. An einer Ampel erklärte sie das Rätsel um den Cappuccino, der normalerweise ein Instant-Cappuccino war und nur dann ein italienischer Cappuccino, wenn man beispielsweise
iz aparata,
»aus der Maschine«, oder
Espresso Cappuccino
sagte.
»Hvala.«
Iva lachte und sagte ein schier endlos langes Bandwurmwort auf Kroatisch.
»Nichts verstanden.«
»Ich habe gesagt: Ich wusste nicht, dass du Kroatisch sprichst.«
»Ich kenne
hvala
und
molim,
das muss genügen.«
»Die zehn häufigsten Schimpfwörter –
das
genügt.«
Zehn Minuten, in denen Iva dreimal auf dem Handy angerufen wurde und zweimal selbst anrief.
»Wo hast du dein Auto?«
»Ach, irgendwo da hinten.«
»Irgendwo, da steh ich auch oft.«
Sie lachten.
»
Jetzt
bist du entspannt«, sagte Iva.
Iva Ilic, die Schwester, nicht zu fassen, dachte Louise und freute sich unbändig auf Februar. Auf den Bruder.
In einer steilen Kopfsteinpflasterstraße betraten sie ein charmant heruntergekommenes Haus mit schmalen, hohen
Fenstern, stiegen in den zweiten Stock hinauf. Die Zagreber Wohnung der Familie, wenn jemand hier war. Nach dem Krieg waren die Eltern für ein paar Jahre hergezogen, dann waren sie nach Stuttgart zurückgekehrt. Der Vater hatte für Kroatien gekämpft. Aber er hatte sich nicht mehr in Kroatien einleben können.
Auch die Wohnung war charmant heruntergekommen. Ein Juwel von Altbau vermutlich, der allerdings sehr gründlich hätte renoviert werden müssen.
In der Küche lief ein Radio. Kühlschrank, Herd, Waschmaschine, alles Gorenje und alt. Hier und dort das rotweiße Schachbrettmuster – auf einem Küchenhandtuch, auf Schnapsgläsern, einem Wimpel an der Wand. Auf dem Fensterbrett lag eine rotweiß gemusterte Handtasche. Wenn sie es richtig sah, begann das Muster links oben mit Rot.
Iva war jetzt noch ein bisschen zappeliger als unterwegs.
»Setz dich.«
Louise setzte sich an den Küchentisch. Iva eilte davon, kam kurz darauf zurück, trug einen Pullover über dem blauen Hemd. Sie füllte ein Glas mit Bier, eines mit Wasser, Louise bekam das Wasser.
Als Iva trank, waren aus einem der Zimmer Schritte zu hören.
»Entspann dich«, sagte Iva.
Louise setzte das Glas ab. »Ich bringe ihn um.«
Thomas Ilic wirkte ein paar Jahre älter, viele Jahre müder als früher. Das Gesicht aufgedunsen, Schweiß auf der Stirn, an Bauch und Hüfte einige Kilo mehr. Als er ihre verärgerte Miene sah, zuckte er verlegen lächelnd die Achseln.
»Illi, ich fasse es einfach nicht.«
Er setzte sich, sichtlich nervös, bekam von Iva ein Bier, stand auf, als Louise zu ihm trat, um ihn zu umarmen, das musste sein, erst umarmen, dann konnte sie ihm das Leben für ein paar Minuten zur Hölle machen.
Er fühlte sich
Weitere Kostenlose Bücher