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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Waffe. In Günterstal hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie dieses Problem lösen sollte. Sie brauchte eine Waffe für den Fall, dass sie Lončar fand.
    Ben Liebermann würde das Problem also lösen.
    »Ich mache mir Sorgen«, sagte Thomas Ilic.
    »Trotzdem hilfst du mir?«
    Er nickte.
    Für eine Weile sprachen sie nicht. Dachten, vermutlich, beide an dieselbe Frage. Was würde sie tun, falls sie Lončar irgendwann tatsächlich gegenüberstand?
    Sie wusste es nicht. Hatte sie vor, sich an ihm zu rächen, weil er sie benutzt hatte, um die Niemanns zu finden, und weil er Carola getötet hatte?
    Sie wusste es nicht.
    Calambert fiel ihr ein, der sonst doch nur im Winter in ihre Gedanken zurückkehrte. Der im Januar 2001 im Schnee gestorben war, auf einer Straße außerhalb von Munzingen, zwei Kugeln im Leib, beide aus ihrer Dienstwaffe. Kurz zuvor hatte sie im Kofferraum seines Autos das Mädchen gefunden. Annetta, in der Mitte zusammengefaltet wie ein Stück Papier. Vergewaltigt, geschlagen, stranguliert. Sie hatte noch vier Tage gelebt.
    Der Aufkleber an der Heckscheibe des Autos:
It’s a man’s world.
    Sie hatte lange darüber nachgedacht. Vielleicht hatte sie es wegen des Aufklebers getan.
    Mindestens eine der Kugeln war überflüssig gewesen. Vielleicht die, an der Calambert im Schnee gestorben war.
    Aber die Erinnerung war nicht mehr vollständig. Schon damals, in jenen letzten Minuten, hatte sie nicht mehr klar denken können. Ein Fall, der alle Mitglieder der Soko körperlich und seelisch an die Grenzen geführt hatte. Kaum Schlaf, kaum Hoffnung. Tagelang hatten sie Calambert und das Mädchen gesucht, halb tot vor Erschöpfung.
    Sie hatte die beiden gefunden, in merkwürdig irrealen Momenten draußen in der weißen Stille. Ein Albtraum aus Kälte, Verzweiflung, Angst, Müdigkeit, in dem keine Gedanken mehr gewesen waren, nur noch Gefühle und Reaktionen.
    Eine der Kugeln war überflüssig gewesen. Was ihr durch den Kopf gegangen war, als sie zum zweiten Mal geschossen hatte, wusste sie nicht mehr. Würde sie nie wissen. Es war verloren in der weißen, unklaren Erinnerung.
    Bermann hatte etwas geahnt. Er hatte nie nachgefragt. Hatte sich mit dem Nötigsten zufriedengegeben und dafür gesorgt, dass auch niemand anders nachfragte.
    Sie sah Thomas Ilic an, der den Blick gesenkt hatte. Vor vier Jahren René Calambert, jetzt Antun Lončar?
    Thomas Ilic schaute auf. »Geh mir nicht verloren in Slawonien.«
    Sie nickte. In seinen Augen las sie dieselbe Frage, die ihr durch den Kopf ging.
    Auf welchem Weg bist du, Louise?
     
    Später fragte Thomas Ilic, wie es ihr gehe. Wegen Au und so. Ob alles wieder in Ordnung sei.
    Nicht so richtig.
    Sie war ja einigermaßen hart im Nehmen. Aber Au ... Au war vielleicht zu viel gewesen. Das entscheidende Quentchen zu viel.
    Sie sahen sich schweigend an. Wie damals der Mord an Peter Mladić für dich, dachte sie, und sie wusste, dass Thomas Ilic wieder dasselbe dachte wie sie.
     
    Thomas Ilic hatte in Zagreb ein Prepaid-Handy für sie gekauft. Das einfachste, billigste, sagte er lächelnd, es gebe ja kein Budget. Ben Liebermann habe die Nummer, er selbst natürlich auch. Beider Nummern seien bereits gespeichert. Er zeigte ihr, wie man den Kuna-Stand abrief. Wie man Rufnummern eingab, die man zum halben Tarif anrufen konnte, egal ob in Kroatien oder im Ausland. Im ersten Monat sieben, dann nur noch zwei. Aber solange wirst du hoffentlich nicht hier sein. Er lächelte unruhig. Um das Handy aufzuladen, brauchst du eine SIMPA -Card wie die hier. Er legte eine eingeschweißte Plastikkarte vor sie. Es gibt fünfzig oder hundert Kuna. Hier steht, was du tun musst.
    Sie nahm die Karte aus der Folie, folgte den Anweisungen,
tippte Zeichen und Ziffern ein und verfügte nun über ein Guthaben von hundertfünfzig Kuna.
    »Gut«, sagte Thomas Ilic. »Jetzt bist du für Slawonien gerüstet.«
    »Jetzt«, sagte sie, »hab ich vor allem Hunger.«
     
    Čevapčići mit Thomas und Iva Ilic in einem traditionellen Lokal in der Straße, die fast nur aus Cafés zu bestehen schien, nicht weit von der metallenen Dame mit dem Dutt entfernt. Iva redete viel, Thomas Ilic und sie beschränkten sich auf ein paar Kommentare. Thomas Ilic wirkte nervös, schwitzte viel, seine Hände zitterten. Sie fragte sich, ob es daran lag, dass er sich ihretwegen Sorgen machte, oder daran, dass er das Essen in der Öffentlichkeit nicht mehr gewöhnt war. Dass er nur langsam aus der Krankheit und der Isolation

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