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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Romanistik, als die Bereitschaftspolizei für Frauen noch nicht geöffnet gewesen war. Sie erinnerte sich genau – während Emma Bovary unter Qualen starb, war ihr urplötzlich die Idee gekommen, es mal als Polizistin zu versuchen, möglicherweise weil zu jener Zeit kaum ein anderer Beruf so sehr nach 19 . Jahrhundert roch wie dieser ... Dann war Germain ums Leben gekommen, und sie hatte sich in die Ausbildung gerettet, »Babylehrgang«, S-Lehrgang und K-Fach, dann erste Dienststellen als Kriminalmeisterin in Stuttgart, Freiburg, Anfang der Neunziger das Studium in Villingen-Schwenningen, dann wieder Freiburg. Arndt Schneider schüttelte den Kopf, andere Orte,
andere Jahre, in Freiburg hatte er nur Lehrgänge der Landespolizeischule absolviert. Louise ging im Geist die »Bergfeste« diverser Lehrgänge durch, sechsundachtzig/siebenundachtzig, da war sie Ende zwanzig gewesen und hatte Jungspunde gesammelt.
    War Arndt Schneider einer dieser Jungspunde gewesen?
    »Wir kommen schon noch drauf«, sagte er.
    »Weiß nicht, ob das gut wäre.«
    Lachend erhob er sich. »Gehen wir?«
    Er hielt ihr die Tür auf. Er war langbeinig, groß, ein wenig ungelenk, kein kraftvoller, viriler Straßenbulle wie Rolf Bermann oder Mats Benedikt, vielleicht ein wenig James Stewart in
Der Mann, der Liberty Valance erschoss.
    Sie erinnerte sich an keinen James Stewart auf einem der »Bergfeste«.
    »Erzähl mir was über euren Wohnsitzlosen«, sagte sie.
    »Erzähl mir was über euren Fall«, sagte Arndt Schneider.
    Sie nickte. Sie hatte bemerkt, dass die warmen, hellgrauen Augen wachsam geworden waren. Der Wohnsitzlose und die Lahrer Russen, Arndt Schneiders Belange.
    Ganz abgesehen davon, dass er Polizeioberrat und damit drei Dienstgrade über ihr war.
     
    Also erzählte sie, nur das Nötigste, Arndt Schneider war schließlich Minimalist. Ein Stockwerk später, im Erdgeschoss, war sie fertig und hatte Gelegenheit, darüber nachzudenken, dass dieser Mann in ihrem Alter fünf, sechs Dienstgrade über ihr rangieren würde und noch immer fünf, sechs Jahre jünger wäre.
    Sie beschloss,
nicht
darüber nachzudenken.
    Sie mochte zwar die für eine Frau beste Voraussetzung für eine Karriere als Polizistin haben – keine Kinder –, aber
sie hatte eben auch die schlechteste – sie war Alkoholikerin. Warum also am System verzweifeln, wenn dieses eine Mal womöglich sie selbst schuld war?
    Arndt Schneider öffnete die Tür zur Schleuse.
    »Wohin gehen wir?«
    »Wir machen einen kleinen Stadtbummel.«
    Sie begriff. »Ihr habt ihn nicht dabehalten?«
    »Natürlich nicht. Wie kann ich jemanden dabehalten, der nichts verbrochen hat?«
    Sie seufzte lautlos.
Sie
konnte das bisweilen.
    »Und der mir die Arrestzelle zu Kleinholz verarbeitet, wenn er nicht jede halbe Stunde einen Liter Alkohol zu sich nimmt?«
    Ja, das verstand sie besser.
    »Aber wir passen auf ihn auf.«
    Sie nickte. Ein Krieger mit Pistole, ein seltsames Ultimatum – und ein Wohnsitzloser, der womöglich etwas wusste.
    Arndt Schneiders Belang, und er kümmerte sich.
     
    Lahr, Ende Oktober, das war ein einziges Blumenmeer – Chrysanthemen, wohin man schaute, in Gelb, Rot, Lila, Weiß, das hing im strahlenden Sonnenschein von Fenstersimsen, Baldachinen und Balkonen, wuchs in Töpfen, Beeten, Kästen, war zu Torbögen, Tierfiguren, Buschlandschaften geformt, kaum ein Meter Fußgängerzone ohne, schön anzuschauen war das schon, selbst wenn man wie Louise mit Blumen sonst eher wenig anzufangen wusste. Mick, der hatte Blumen geliebt. Die Chrysanthema war in der Ehe Pflichtprogramm gewesen, seit es sie gab, 1998 . Drei Jahre lang war Louise bunt wie ein Blumenbeet aus Lahr nach Hause gekommen.
    Sie holten sich Kaffee zum Mitnehmen, gingen weiter.
    »Also, hör zu«, sagte Arndt Schneider.
    Wie der Wohnsitzlose hieß, wie alt er war, woher er kam, seit wann er in Lahr lebte, all das wusste niemand. Er war eines Tages da gewesen, und er würde eines Tages fort sein, viel mehr war nicht bekannt. Für die Lahrer war er »Friedrich«, weil die Kollegen ihn in der Friedrichstraße zum ersten Mal aufgegriffen hatten – irgendwann vor Jahren. Weil er immer da war, immer beobachtete, immer erzählte, was er gesehen hatte, war er im Lauf der Jahre beinahe zu einer Art Chronist geworden. Ein Chronist der Banalitäten, dessen Welt aus einer Kreuzung in der Fußgängerzone bestand. Er war vermutlich Mitte dreißig, überraschend gebildet, und meistens machte es Spaß, ihm zuzuhören, wenn er

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