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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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keine Deutschen sind, Louise.«
    »Ich glaube, das war’s«, sagte Arndt Schneider und stand auf.
    Friedrich nickte. »Ja, er hört das nicht gern, unser Arndt. Hört manche Wahrheiten nicht gern.«
    »Wahrheiten, Friedrich?«
    »Ja, Wahrheiten. Was ich sehe, was ich höre. Wahrheiten, Arndt.«
    »Gehen wir«, sagte Arndt Schneider.
    Louise blickte auf Friedrich. So viele Fragen blieben. Doch Arndt Schneider hatte recht: Das war’s gewesen. Sie erhob sich.
    »Magst manche Wahrheiten auch nicht hören, was, Louise?«, murmelte Friedrich, ohne den Blick von den drei Männern auf der Kreuzung zu wenden. Dann fuhr er fort mit seiner Litanei, die waren faul, ungebildet, dreckig, hatten Lahr überflutet wie eine Seuche, die Töchter Nutten, die Söhne Dealer, die Alten hielten nur die Hand auf, Russen eben, und plötzlich herrschte die Gewalt in Lahr, die Gewalt, Louise, geh nachts durch den Kanadaring, und du weißt, was ich meine ...
    Louise beugte sich zu ihm. »Auf Wiedersehen, Friedrich.«
    Er hob den Blick, sah sie mit seinen geröteten, teilnahmslosen Augen an.
    »Und danke.«
    Friedrich nickte.
    Sie wandte sich ab. Arndt Schneider hatte sich schon ein paar Meter entfernt. Sie fragte sich, was in ihm vorgehen mochte. Friedrich, der gesehen hatte, was mit seinem Jungen geschehen war. Friedrich, der Russenhasser.
    »Louise«, flüsterte Friedrich hinter ihr.
    Sie blieb stehen, sah ihn an.
    »Ich hab ein Wort für dich.«
    »Ich weiß nicht, ob ich es hören will.«
    Er grinste. »Ein Wort von deinem Mann, Louise.«
    Sie trat zu ihm. »Was für ein Wort?«
    »Er hatte ein Zigarettenetui, und da stand ein Wort drauf, Louise, eingraviert innen in den Deckel. Ein Wort und ein Datum.«
    Sie nickte, wartete.
    »›Wapolwo‹ stand da, Louise, und ein Datum. Das Jahr war 1945 , an den Rest erinnere ich mich nicht.«
    Sie bat ihn, das Wort zu buchstabieren. Er tat es.
    Wapolwo 1945 . Ein Name, ein Ort, ein Begriff – und eine Jahreszahl. »Weißt du, was das ist, Wapolwo?«
    Friedrich zuckte die Achseln. »Nie gehört.«
    »Beschreib mir das Etui.«
    »Silbern, irgendein Metall, vielleicht Aluminium, es war leicht, weißt du. Abgegriffen, angelaufen, schmutzig. Und innen, im Deckel, da stand dieses Wort, Wapolwo. Ein schönes Wort, oder? Und jetzt geh, Louise, wenn du meine Wahrheiten nicht hören willst.«
    Sie nickte, hob die Hand, danke, trotz allem. Wapolwo, dachte sie mit zunehmender Erregung, jetzt hatten sie vielleicht einen Anfang, den Anfang einer Geschichte, eines Lebens. Irgendjemand würde schon wissen, was das war, Wapolwo – ein Name, ein Ort, ein Begriff.
    Eine Vergangenheit.
    Wapolwo 1945 .
    Arndt Schneider wusste es nicht, Alfons Hoffmann wusste es nicht.
    Sie würden es herausfinden.
     
    Sie kehrten nicht zum Revier zurück, sondern gingen in die entgegengesetzte Richtung, passierten ein chrysanthemengeschmücktes Riesenrad, dann das Rathaus, verließen die Fußgängerzone. Sie wolle etwas über die Spätaussiedler wissen, also müsse sie mit Spätaussiedlern sprechen, hatte Arndt Schneider gesagt. Er hatte sie im K 2 angekündigt, der Sozialberatung für Spätaussiedler, Kanadaring 2 . Ein Streifenwagen würde sie hinbringen.
    »Der Kanadaring«, sagte Louise. »Da hört man so einiges, nicht nur von Friedrich.«
    Arndt Schneider zuckte die Achseln. »Man muss nicht alles glauben, was man hört.«
    »Und was soll man glauben, Arndt?«
    Wieder ein Achselzucken. »Wenn das so einfach wäre.«
    Aber das akzeptierte sie nicht, erzähl mir was über die Russen, Arndt, über das kleine Lahr und seine vielen tausend Russen, man hört so einiges. Arndt Schneider lächelte sein freundliches, trauriges Lächeln und sagte: »Lahr hat keine Russen, Louise, Lahr hat Deutsche aus Russland.«
    »Von mir aus. Ist nicht böse gemeint. Ist nur ein Wort.«
    »Die Wörter sind Teil des Problems.«
    War das so? Sie wusste es nicht. Wörter waren Wörter. Wörter waren neutral. Erst die Menschen füllten sie durch das, was sie taten oder dachten, mit Bedeutung. »Ist das so, Arndt?«
    »Ja«, sagte Arndt Schneider. »Immer.« Und ganz besonders in Bezug auf die Spätaussiedler. Im Osten waren sie die
»Deutschen« gewesen und damit Fremde. In Deutschland waren sie die »Russen« und damit wieder Fremde. Wer sie »Russen« nannte, stigmatisierte sie, ob er wollte oder nicht. Er sagte damit: Ihr gehört nicht zu uns. Ihr seid keine Deutschen. Ihr seid Fremde.
    Ja, Wörter waren ein Teil des Problems.
    »Des Problems

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