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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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vierundzwanzig Stunden.«
    »Ja. Und wenn der Abgleich negativ ist?«
    »Vielleicht haben wir Glück, und er steckt in irgendeiner Datenbank.«
    »Glück«, sagte Alfons Hoffmann düster.
    »Sonst noch was, Alfons?«
    »Nein. Und bei dir?«
    »Später.«
    Sie beendeten das Gespräch. Louise hielt die Augen geschlossen, das Gesicht der Sonne zugewandt. Die Lethargie und die Müdigkeit waren wieder da. Die Fragen.
    Was war wichtig bei diesem Mann?
    Warum er dachte, wie er dachte. Warum er so geworden war.
    Sie wandte sich um. Arndt Schneider und Friedrich sahen noch immer herüber, als warteten sie darauf, dass sie endlich zurückkam. Der freundliche Polizeioberrat, der obdachlose Chronist. Ein gelbes Fahrrad unter einem Lkw, ein Junge mit gebrochenem Genick.
    Da vorn, an der Ecke, hatte Friedrich gesagt.
    Der Ecke, an der sie stand.
     
    Dann sprachen sie über den Russen, »unseren Mann«, wie Louise ihn nannte, um nur ja nicht »Russe« zu sagen. Sie zeigte Friedrich ihren Ausdruck des Fotos, das Paul Niemann gemacht hatte, und Friedrich nickte. »Dein Mann« hatte eines Morgens, bevor Friedrich kam, hier gesessen, auf seinem, Friedrichs, Platz, da hatte er gesagt, du kannst hier nicht sitzen, das geht nicht, du weißt das vielleicht
nicht, aber das geht nicht, das ist
mein
Platz. Er war zur Seite gerutscht, Friedrich hatte sich gesetzt, ganz zivilisiert, Louise, so klären wir Platzprobleme, wir Zivilisierten. Friedrich lachte. Rauch stieg aus seinem Mund, überlagerte für einen Moment den Gestank der Kleidung, der Haare, der Haut.
    »Hat er was gesagt?«
    »Kein Wort, Louise, kein Wort hat er gesagt. Hat nur zugehört und genickt und geraucht und seinen Sliwowitz mit mir geteilt.«
    »Dann kam die Streife.«
    »Dann kam die Streife.« Friedrich öffnete die dunkle Flasche, trank, was immer auch da drin war. Sie dachte, dass sie das ein paar Jahre lang auch getan hatte, Flaschen geöffnet, getrunken, was immer auch drin gewesen war. Aber heimlich, versteckt, in Toiletten, im Schutz von Schränken, im schwarzen Schatten. Als hätte sie es vor sich selbst verbergen wollen. Aber vielleicht war das Verstecken auch wichtig gewesen. Vielleicht war es ein Indiz dafür gewesen, dass sie irgendwann bereit sein würde aufzuhören.
    Wer es nicht versteckte, musste vielleicht nicht aufhören.
    Sie dachte an Jenny Böhm, die wieder angefangen hatte mit dem Verstecken. Die noch immer nicht angerufen hatte.
    »Aber die Kollegen kamen nicht wegen der beiden«, sagte Arndt Schneider. »Sie wollten sich nur einen Kaffee holen.«
    »Die stellen den Wagen da drüben ab« – Friedrich wies mit dem Kopf nach links – »und gehen Richtung Tchibo« – er wies nach rechts – »aber weil sie mich mal eben begrüßen wollen, höflich wie sie sind, kommen sie auf uns zu. Da springt dein Mann auf und rennt, und sie hinterher, aber
wie
der rennt, Louise ... Drei Haken, und du hast keine Ahnung, wo er hin sein könnte.« Friedrich schnippte den Zigarettenstummel von sich, lachte leise und bewundernd.
    »Hatte er was bei sich? Eine Tasche, einen Rucksack?«
    »Einen Rucksack.«
    »Was für einen?«
    »Eher klein, Louise. Wie deine Tasche.«
    »Farbe?«
    »Eher dunkel. Blau vielleicht. Schwarz.«
    »Was hatte er an?«
    »Na, einen Frack hatte der nicht an, Louise.«
    »Was dann?«
    »Jedenfalls keinen Frack ...«
    Arndt Schneider berührte ihren Arm. Sie folgte seinem Blick. Auf der Kreuzung standen jetzt drei ältere Männer in dunkelblauen Sporthosen, Anoraks, einer mit Schiebermütze, einer mit Gehstock. Sie rauchten, sprachen, gestikulierten.
    »Schaut sie euch an«, sagte Friedrich. »Siehst du sie, Louise? Unsere Russen.«
    »Was hatte er an, Friedrich?«
    »Was weiß ich, was der anhatte, eine Hose, eine Jacke, und bestimmt hatte er drunter auch was an ... Siehst du sie, Louise?«
    »Ich sehe sie. Aber ich bin nicht ihretwegen hier, Friedrich.«
    »Wie alt sind die? Fünfundfünfzig, sechzig? Arbeiten die? Lernen die? Tun die irgendwas Sinnvolles? Nein, die tun
nichts.
Die kriegen Sozialhilfe oder Frührente, da müssen sie nicht arbeiten oder lernen oder irgendwas Sinnvolles tun.«
    »Beschreib ihn mir, Friedrich. Gesicht, Hände, Stimme ...«
    »Hatte der alles, Louise, Gesicht, Hände, Stimme.« Friedrich lachte. Das Lachen klang jetzt anders – drohend und aggressiv. »Und welche Sprache sprechen die, Louise? Sprechen die Deutsch? Nein, die sprechen Russisch oder Kasachisch oder Sibirisch oder was auch immer. Und warum? Weil die

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