Im Auftrag der Väter
auslöste, als gäbe es geheimnisvolle Verbindungen, als wäre sie in irgendeiner Form involviert.
Was natürlich Quatsch war.
Thomas Ilic sprach noch, erzählte noch vom Krieg, dem Krieg in Vukovar, das offensichtlich auch irgendwo da unten lag, im Land zwischen Save und Drau, nein, an der Donau lag es, und am anderen Ufer lag Serbien. Vukovar, sagte er, im Krieg die meistzerstörte Stadt Kroatiens, neunzig Prozent, das musst du dir vorstellen, und was haben sie zuerst bombardiert? Die Kathedrale, den Wasserturm, das Krankenhaus. Sie nickte, diese Geschichten wollte sie nicht hören, Geschichten von Serben und Kroaten, zumindest nicht durch Thomas Ilic, der im Sommer 2003 einen Satz gesagt hatte, den sie nie vergessen würde: Man ist mal Deutscher, mal nicht.
Sie unterbrach ihn, fragte nach den Deutschen aus Jugoslawien, den Donauschwaben. Thomas Ilic sagte, er habe von ihnen gehört, wisse aber nichts Genaueres. Die hatten sich zu Tausenden im Donauraum niedergelassen? Nein, das hatte er nicht gewusst. Aber er kannte Kroaten, die deutsche Vorfahren hatten, das schon, sie nannten sie »Švabi«, »Schwaben«, das war manchmal nett und manchmal weniger nett gemeint. Auch eine Käferart nannten sie »Švabi«, »buba švaba«, auch das war manchmal nett und manchmal weniger nett gemeint, das kam auf die Perspektive an.
Der Käfer fand es vielleicht nett.
Thomas Ilic lachte entschuldigend.
Dann wollte er unvermittelt wissen, wie es so laufe in der Direktion, mit Anselm Löbinger als Inspektionsleiter, mit Bermann, der noch immer »nur« Dezernatsleiter sein dürfe,
mit Bob, wer außerdem neu sei, wer fort sei. Sie erzählte ein bisschen, während sie versuchte, nicht schon wieder zu vergessen, was Thomas Ilic über Slawonien berichtet hatte. Impulsiv sagte sie, weißt du, was ich am meisten vermisse? Deinen Schnellhefter, jetzt muss ich alles selber aufschreiben oder mir merken, und für beides bin ich nicht geschaffen. Thomas Ilic lachte wieder, dann schwieg er, und sie dachte, dass sie den Schnellhefter nicht hätte erwähnen sollen.
»Kann ich dich mal wieder besuchen?«
»Ich weiß nicht.«
»Du weißt nicht, ob ich das kann?« Sie lachte.
Thomas Ilic lachte nicht. »Ob das eine gute Idee ist.«
»Und anrufen?«
»Anrufen schon, ja.«
»Und Postkarten aus dem Urlaub schicken.«
»Seit wann machst du Urlaub?«
Jetzt lachten sie beide.
»Und denk dran, was du versprochen hast.«
»Ich denke dran.«
Sie stutzte. »Warum habe ich den Eindruck, dass du es nicht ernst meinst?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Thomas Ilic und legte auf.
Im Land der Schwaben kamen ihr wieder die Donauschwaben in den Sinn, von denen nur ein Teil aus Schwaben selbst gekommen war, doch aus irgendeinem Grund war der Name hängengeblieben. Eine deutsche, eine europäische Geschichte, die sie nicht gekannt hatte und die doch Teil der deutschen und europäischen Vergangenheit war, vielleicht auch der Gegenwart, wer wusste das schon.
Zehntausende Eheleute und Familien vor allem aus
Schwaben, Bayern, Franken, Hessen, Westfalen, Lothringen, der Pfalz hatten sich im 18 . Jahrhundert in Ulm auf der Donau eingeschifft, um in Südosteuropa eine bessere, freiere, friedlichere oder einfachere Zukunft zu finden, angeworben von den Habsburgern Karl VI ., Maria Theresia und Joseph II . Die wiederum hatten an die Zukunft Österreich-Ungarns gedacht und wollten die nach den Türkenkriegen weitgehend entvölkerte pannonische Ebene beidseits der Donau wiederbesiedeln, in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen, doch auch, um die Grenzen besser schützen zu können. In drei großen und vielen kleinen »Schwabenzügen« reisten die Emigranten im 18 . Jahrhundert auf der Donau über Wien bis Budapest, zu Land weiter Richtung Süden, Osten oder Norden, ließen sich an den ihnen zugewiesenen Flecken unbekannter Erde nieder, vor allem in der Schwäbischen Türkei, dem Banat, der Batschka, später auch in Slawonien, Fremde in einem Flickenteppich aus Völkern, Sprachen und Traditionen, aus Madjaren, Serben, Kroaten, Muslimen, Rumänen, Albanern, Roma, Juden und anderen.
Sie fragte sich, ob die Fremden auch nach Valpovo gekommen waren, irgendwann, dort gelebt hatten und dann, in den Vierzigerjahren des 20 . Jahrhunderts, dort gestorben waren vor Hunger und vor Erschöpfung und vor Kälte, wie Waldemar Kaufmann gesagt hatte. Nein, natürlich keine lichte italienische Zitronenstadt, sondern vielleicht eine Stadt des Leides und des
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