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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Todes.
    Eine Stadt der Schmerzen.
     
    Später, kurz vor München, rief Alfons Hoffmann an. Die Berichte der Techniker waren eingetroffen, vielmehr: Teilberichte. Nichts Neues, aber immerhin objektive Bestätigungen.
Die Schuhabdruckspuren im Beet vor der Terrasse der Niemanns, die im Acker, als er weggelaufen war, und die am Hang des Schönbergs waren identisch. Die Fingerabdrücke im Haus und im Schacht der Kanalisation waren identisch. Auf dem Sofa im Fernsehzimmer, das nicht mehr existierte, hatten Steinle und Lubowitz Fasern einer dunkelblauen Cordhose gefunden, auf dem Boden Erdkrümmel, Sandkörner, Grasstückchen, die identisch waren mit vergleichbaren Partikeln in den Schuhabdruckspuren. Der Mann im Garten war der Mann im Kanalisationsschacht gewesen und der Mann im Haus der Niemanns und der Mann auf dem Schönberg. Wichtig für den Staatsanwalt, den Richter. Nichts Neues, nur objektive Bestätigung. Über das, was der alte Krieger vorhatte, über die Schmerzen, die vielleicht allem zugrunde lagen, über die Deutschen aus Jugoslawien erzählte es natürlich nichts. Da halfen nur möglichst viele weitere Informationen.
    Und Ahnungen.
     
    Dann, in der Nachmittagsdämmerung, fuhr sie durch München und dachte, so anders sah es hier nicht aus, es war nur größer, und die Straßen waren länger, wollten überhaupt nicht aufhören. Eine hieß Verdistraße, eine Arnulfstraße, die nahm nun wirklich kein Ende, erst am Hauptbahnhof. Sie verfuhr sich, fragte, bekam eine Antwort, sah minutenlang nur Türken und türkische Geschäfte, verfuhr sich erneut, fragte erneut, sollte die Lindwurmstraße runter, das war schon wieder so eine lange Straße, dann fand sie keinen Parkplatz und parkte verboten. Um halb fünf stand sie vor dem Kreisverwaltungsreferat.
     
    Hans Bereiter, der Promimord-Ermittler, war doch gekommen. Er lehnte im gläsernen Windfang, ein großer, schlanker Mann mit Zopf, Augenringen, halb geschlossenen Lidern, vollkommen übermüdet, erschöpft, entrückt. Als sie sich die Hände reichten, unterdrückte er ein Gähnen. »Entschuldige«, sagte er mit tiefer Raucherstimme auf Hochdeutsch. »Bin seit achtundvierzig Stunden auf den Beinen.« Sie nickte, das kannte sie. Sie meldeten sich am Empfang an, folgten einem schmalen, fensterlosen Flur in ein Labyrinth aus leeren Fluren, leeren Aufenthaltsräumen. Hans Bereiter roch nach Zigaretten, Kaffee, Döner, Schweiß, Adrenalin, das kannte sie auch.
    Es blieb dabei: keine Unterschiede, nur die Straßen waren länger.
     
    Alfons Hoffmann hatte gut gearbeitet, Hans Bereiter war über das Wesentliche informiert. Details schienen ihn nicht zu interessieren, vielleicht war er auch nur zu müde, jedenfalls fragte er nicht nach. Irgendwo im Inneren des Labyrinthes klopfte er an eine Tür, eine Frauenstimme rief »Herein«. An einem Schreibtisch thronte eine beleibte, blondierte Mittfünfzigerin, Heidelinde Zach, Leiterin der Unterabteilung 31 , Stift in der Rechten, Kaffeetasse in der Linken, der mächtige Körper in einem gelben Kleid mit grünen Bäumen, Blättern, Vögeln.
    »Servus, Heidi«, sagte Hans Bereiter.
    »Servus, Hans.«
    Louise schmunzelte. Da war er, der kleine, kleine Unterschied.
     
    »Der Paul ... Der ist hier gar nicht zurechtgekommen, möchte ich mal sagen.« Im Gegensatz zu Hans Bereiter sprach Heidelinde Zach Dialekt, ein weiches, selbstbewusstes, vulgäres Bayerisch, manchmal verständlich, manchmal weniger.
    »Sie erinnern sich an ihn?«
    »Freilich erinnere ich mich an ihn.«
    »Er war nur zwei Monate hier.«
    »War eine schwierige Zeit, da vergisst du keinen.«
    Heidelinde Zach war damals stellvertretende Leiterin der Abteilung und für die Untersbergstraße zuständig gewesen. Der Stress, sagte sie, hatte die Mitarbeiter zusammengeschweißt. Selbst wenn einer nur zwei, drei Monate da gewesen war, erinnerte man sich an den. Über 20   000 Kriegsflüchtlinge, über 18   000 Rückführungsbescheide, eine eigene Abteilung aus anfangs zehn, dann fünfundvierzig Mitarbeitern, die Konfrontation mit einem nahen Krieg und furchtbaren Schicksalen, der Druck von außen, vor allem von Seiten der Innenministerkonferenz, die darauf drängte, dass möglichst rasch möglichst viele Personen rückgeführt wurden, die häufigen Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen, die häufig kontraproduktive Berichterstattung der Presse – Jahre, die keiner, der dabei gewesen war, so schnell vergessen würde, und man konnte es niemandem vorwerfen, wenn er

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