Im Auftrag der Väter
von Donauschwaben gestoßen, mit Angaben von Geburtsdatum, Geburtstort, Ehepartner, Kindern, aktuellem Wohnort.
Und er war auf ein Buch gestoßen.
»Ein Buch?«
»Mhm.«
»Was für ein Buch?«
»Wirst du gleich sehen.«
Er klickte auf die Website eines Frankfurter Antiquariats, ließ sie einen unendlich langen Titel lesen:
Fremde Heimat Deutschland. Nach der Rückkehr der Bosniendeutschen aus Schutzberg. Ein Nachtrag von Andreas Eisenstein zum Werke »Geschichte der deutschen evangelischen Gemeinde Schutzberg in Bosnien 1895 bis 1942 « von Ferdinand Sommer.
Alfons Hoffmann hatte das Buch vorhin bestellt und per Eilkurier schicken lassen. Garantierte Zustellung bis heute Nachmittag, fünfzehn Uhr.
»Aha.«
»Was sagst du dazu?«
»Bosniendeutsche?«
Er nickte. Auch in Bosnien hatte es offenbar Deutsche gegeben, ein paar kleine Dörfer, Streusiedlungen, vorwiegend bewohnt von Deutschstämmigen, die aus anderen Regionen Südosteuropas gekommen waren, manche sogar aus Russland.
»Und das hat was mit Lončar zu tun?«
»Ja.«
»Erklär’s mir.«
»Also«, sagte Alfons Hoffmann vergnügt.
Andreas Eisenstein, 1910 in Novisad / Neusatz im heutigen Serbien geboren, seit 1964 wohnhaft in Lahr. Einer Internet-Genealogie von Donauschwaben zufolge hatte Andreas Eisenstein von 1914 bis 1942 in Schutzberg gelebt, einem Dorf im heutigen Bosnien und Herzegowina. Der im Buchtitel genannte Ferdinand Sommer war von 1922 bis 1942 Pfarrer in Schutzberg gewesen. 1942 waren fast alle Bosniendeutschen auf Anordnung der Naziführung umgesiedelt
worden, darunter auch die Einwohner von Schutzberg.
Schutzberg, dachte Louise. Irgendetwas regte sich in ihrem Unterbewusstsein. Schutzberg.
Alfons Hoffmann zog eine Schnute. »Du sagst ja gar nichts.«
»Ich denke nach.« Sie stand auf. »Schutzberg. Irgendwas war da.«
»Ja«, sagte Alfons Hoffmann ein wenig enttäuscht. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, blickte sie an, wartete, vielleicht auf Fragen oder die Erinnerung.
Sie trat zum Fenster. Der Mittagshimmel dunkel, Regen, ein Oktobertag, wie man es gewöhnt war. Für einen Moment dachte sie an München, an Heidelinde Zachs Sonnenlachen, an den warmen Abend im Freien, dessen Wirkung längst verblasst war im Trubel der Nacht und des Vormittags.
Schutzberg.
Dann hatte sie es.
Der Herr ist des Armen Schutz, ein Schutz in der Not.
Sie schüttelte den Kopf. Das mochte nun wirklich Zufall sein. »Du willst mir nicht sagen, dass das alles ist? Der Psalm?«
»Der Psalm?«
Sie zitierte den Vers.
»Aber nein«, sagte Alfons Hoffmann erleichtert und griff nach der Computermaus. Sie trat wieder zu ihm, stützte sich mit dem Unterarm auf seine Schulter, überging den Geruch nach Schweiß, bei Alfons Hoffmann immer ein Zeichen dafür, dass er intensiv gearbeitet, gedacht, gefolgert hatte, ohne dabei viel mehr zu bewegen als seine Hände.
Ergebnisse einer Suchmaschine, die letzte von über vierzig
Seiten, bei allen Einträgen war das Wort »Schutzberg« gefettet. »Das war am schwierigsten«, sagte Alfons Hoffmann, während er nach unten scrollte.
Ein knappes Dutzend Male »Schutzberg«. Dann, fast am Ende der Liste, ein kurzer Eintrag, zwei Zeilen, »Schutzberg« gefettet, in Klammern dahinter »Štrpci«.
Schutzberg war Štrpci.
Štrpci, wo Antun Lončar 1942 geboren worden war. Wo Andreas Eisenstein aus Lahr von 1914 bis 1942 gelebt hatte.
Alfons Hoffmann und das Internet. Sie richtete sich auf, klopfte ihm auf die Schulter. »Sensationell.«
»Hatte eine gute Lehrerin.«
»Elly.«
Er nickte begeistert. »Was die Elly mit dem Internet kann, die löst dir einen Fall mit dem Internet.«
Sie schmunzelte, Alfons Hoffmann errötete.
»Wissen wir, wann genau die Umsiedlung war?«
»Wissen wir.« Er stöberte in einem Wust aus Notizzetteln auf seinem Schreibtisch. »Am 6 .November 1942 .«
Lončar war am 2 .November 1942 geboren worden. Vier Tage vor der Umsiedelung. Blieb die Frage, in welcher Beziehung er zu Andreas Eisenstein stand oder gestanden hatte.
Und was genau eine Umsiedelung war, und vor allem: wohin die Schutzberger umgesiedelt worden waren.
Darauf hatte auch Alfons Hoffmann keine Antwort.
»Wann kommt das Buch?«
»Spätestens um drei.«
»Lies es.«
»Ja«, sagte Alfons Hoffmann.
»Und Eisenstein lebt noch?«
»Also, heute Vormittag hat er jedenfalls noch gelebt.«
Lächelnd ging sie zur Tür, öffnete sie, als Alfons Hoffmanns Telefon klingelte. »Illi«, sagte er nach einem Blick aufs
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