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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Walpach?«
    Louise antwortete nicht gleich. Da war wieder einer jener Begriffe, die es ihr so schwer machten, sich unbefangen mit dem Schicksal dieser Menschen auseinanderzusetzen, der Donauschwaben, das Konzentrationslager in Valpovo, sie hatte nichts gelesen von Vergasungen, Zehntausenden Toten, systematischem Völkermord.
    Treblinka, Auschwitz, Valpovo? Nicht im Ernst.
    »Ja«, sagte sie, »ich habe von Walpach gehört. Von Schutzberg, Walpach, Essegg. Štrpci, Valpovo, Osijek.«
    Eisenstein nickte. »Sie überraschen mich.«
    »Ich versuche zu verstehen.«
    »Antun zu verstehen?«
    »Ja. Und alles andere.«
    Sie saßen jetzt, Eisenstein in einem Sessel mit Blick auf den kleinen Garten hinter dem Haus, Louise und Mats Benedikt auf einer Couch links von ihm, Bob in einem Sessel rechts von ihm, auf drei Seiten umgeben von hohen Regalen mit Büchern hinter Glas. Hinter Bob stand ein Cembalo – komischer Flügel, hatte Louise Mats Benedikt während des Wartens zugeflüstert, normales Cembalo, hatte er erwidert –, hinter Louise ein kleiner Esstisch mit vier Stühlen. Das schien zu genügen nach einem so langen und wechselvollen Leben, vier Stühle, als kämen nie mehr
als drei Gäste gleichzeitig zu Besuch zu Andreas Eisenstein.
    Die Haushälterin hatte Kaffee gekocht, für Andreas Eisenstein Früchtetee, auf dem Couchtisch standen zierliche, kitschige Tassen, eine Karaffe mit Wasser und eine Schale mit Keksen. Nur Louise aß davon, das Mittagessen musste nachgeholt werden, Abendessen vielleicht ja dann bei den Niemanns.
    »Antun zu verstehen«, wiederholte Eisenstein nachdenklich. »Das ...«
    »Später«, unterbrach Bob. Er rutschte im Sessel vor, fragte: »Wann haben Sie Lončar zum letzten Mal gesehen?«
    »Vor ein paar Tagen.«
    Bob nickte ungeduldig. Schon im Sokoraum in Lahr hatte Louise Veränderungen an ihm bemerkt. Bob war unruhig, nervös, sprach schneller, der Blick war noch konzentrierter.
    Bob machte sich Sorgen.
    Au war eine Festung, aber vielleicht begingen sie ja Fehler, beging
er
Fehler.
    Sie tastete nach dem Handy in der Umhängetasche, wollte plötzlich unbedingt Carola anrufen, dann ließ sie es, was hätte sie fragen sollen?
    Habt ihr ihn schon gesehen? Ist er schon da?
    »Wann genau?«, fragte Bob.
    »Vergangenen Freitag.«
    Louise und Mats Benedikt wechselten Blicke. Am Tag, bevor Lončar im Garten der Niemanns aufgetaucht war.
    »Stehen Sie in Kontakt mit ihm?«
    »Nicht in dem Sinn, wie Sie es vermutlich meinen. Wir telefonieren nicht. Aber er hat meinen Wagen, und ich möchte doch hoffen, dass er ihn mir zurückbringt.«
    »Welches Kennzeichen hat Ihr Wagen?«
    Andreas Eisenstein nannte das Kennzeichen, beschrieb das Auto, ein weißer Golf aus den frühen Neunzigerjahren, viel Rost, viel Lärm, er verlieh das Auto oft, Bekannte aus Kroatien oder Bosnien fuhren damit hin und her. Bob erhob sich mitten im Satz, hielt schon das Funktelefon in der Hand. Sie hörte ihn in der Diele leise sprechen, jetzt konnten sie zielgerichtet fahnden, ein alter verrosteter weißer Golf.
    Er kam zurück, blieb schräg hinter Eisenstein stehen. »Wissen Sie, wo Lončar ist?«
    Eisenstein wandte sich mühsam im Sessel um. »Nein.«
    »Wo er sein könnte?«
    »Nein.«
    »Keine weiteren Bekannten aus Schutzberg?«
    »Nicht in Lahr oder Freiburg.«
    »Andere Bekannte?«
    Eisenstein hob die Hände, deutete auf den Sessel. »Bitte setzen Sie sich doch, Sie müssen doch nicht stehen, und ich möchte mir nicht den Hals verrenken, in meinem Alter wäre das ein Verhängnis.« Er lächelte.
    Bob setzte sich. »Andere Bekannte?«
    »Einen, in Freiburg.«
    »Paul Niemann«, sagte Bob.
    Eisenstein nickte. »Ein Freund wohl aus Slawonien, aus Essegg, wenn ich mich richtig erinnere, deutschstämmig wie wir, in den späten Fünfzigerjahren nach Deutschland gegangen, als wir uns aus Jugoslawien freikaufen durften.«
    »Hat Lončar erzählt?«, fragte Bob.
    »Ja. Stimmt es denn nicht?«
    »Freikaufen?«, fragte Louise.
    »Später«, sagte Bob gereizt. »Paul Niemann.«
    Eisenstein faltete die Hände im Schoß, die Schultern fielen noch ein Stück nach vorn, während er sich konzentrierte. Eines Tages, irgendwann im Sommer, war ein Brief gekommen, Antun hatte ihn gebeten, eine Adresse ausfindig zu machen – irgendwo in Baden, möglicherweise Freiburg oder Umgebung, eben Paul Niemann. Eisenstein hob die Hände, eine Geste der Verwirrung, ein Brief nach Jahrzehnten ohne Kontakt.
    »Ja, ja, verstehe«, murmelte Bob.
    Sie

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