Im Auftrag der Väter
schwiegen.
Eisensteins Blick wanderte von einem zum anderen, richtete sich dann aufs Fenster, ein Blick in die Ferne, die ein paar hundert Meter hinter dem Haus im Nebel endete. Ein Paul Niemann irgendwo in Baden, dachte Louise, auf den Münchner Unterlagen hatte nur »Hr. Niemann« gestanden, und woher hatte Lončar von dem Umzug nach Baden gewusst? »Alfons soll in München anrufen«, sagte sie, an Bob gewandt, der nickte, die Augen zusammenkniff, nachfragte, und warum?
»Möglicherweise ist Lončar im Sommer dort gewesen«, erwiderte Mats Benedikt an ihrer Stelle. »Hat irgendjemanden nach Paul Niemann gefragt.«
»Irgendjemanden?«
»Aus der Ausländerbehörde.«
»Ja«, sagte Bob und rieb sich über die Stirn, als suchte er im Kopf nach der einen, wesentlichen Frage, die noch gestellt werden musste, die die Antwort auf alle anderen Fragen bringen würde.
»Erinnern Sie sich, wo der Brief aufgegeben worden ist?«, erkundigte sich Mats Benedikt.
Eisenstein nickte. »In München.«
»Wissen Sie, was Antun vorhat?«, fragte Louise.
Eisenstein sah sie an, schüttelte den Kopf.
»Aber Sie wissen,
dass
er etwas vorhat? Dass er etwas getan und es noch nicht zu Ende gebracht hat?«
»Sie machen mir Angst.« Eisenstein faltete die Hände wieder im Schoß. »Aber wenn ich ehrlich bin, hat er mir auch Angst gemacht. Er war so ... Ich kann es nicht beschreiben. Als ich ihn sah, war mein erster Gedanke, dass er voller ... Grausamkeit ist. Und dann dachte ich, dass ihm etwas Schreckliches widerfahren sein muss.«
»Ja«, sagte Louise.
»Sie wissen, was?«
»Ja.«
»Später.« Bob erhob sich, sagte, er müsse jetzt nach Freiburg, aber vorher brauche er Lončars richtigen Namen, den deutschen, den Geburtsnamen, und er sah Eisenstein voller Erwartung und Hoffnung an, als wäre dieser deutsche Name die Antwort auf alle Fragen, als müsste man ihn nur einmal aussprechen, und alles hätte ein Ende, die Bedrohung durch Lončar, die Angst vor Fehlern, die Nervosität. Doch dann war es nur ein ganz einfacher Name, Heinrich Schwarzer, ein Name wie Millionen andere, der nichts bedeutete, keine Verbindungen erkennen ließ, keine Zusammenhänge, ein Name ohne Antworten, der nur wieder Fragen aufwarf. Für diese Fragen hatte Bob keine Zeit oder Geduld, er verabschiedete sich und ging, kehrte Sekunden später zurück, um Mats Benedikt zu holen, du fährst nach Au, bleibst bei den Niemanns,
da
brauchen wir jetzt Leute, nicht hier.
Sie gingen, die Haustür fiel mit einem Krach ins Schloss.
Andreas Eisenstein rieb sich die wässrigen Augen, sagte: »Jetzt sind sie endlich weg, die Männer mit den Waffen. Später werden Sie mir erzählen, was Antun widerfahren ist
und weshalb Sie ihn suchen. Aber nicht jetzt.« Er nahm die Teetasse, trank. »Jetzt sprechen wir über Schutzberg und Walpach und Josefsdorf, damit Sie verstehen.«
»Josefsdorf?«
»Poreč. Zwei, drei Straßen, eine Handvoll Häuser, eines der ehemaligen deutschen Dörfer in Slawonien. Josefsdorf-Poreč.«
Louise nickte. Poreč, wo Antun Lončar gelebt hatte, wo Biljana und Snježana geboren worden waren.
19
DA WAREN SIE WIEDER , die Schemen, einige Dutzend oder Hundert, diesmal zum Teil mit Gesichtern, Louise sah Andreas Eisenstein unter ihnen und Heinrich Schwarzer, Biljana und Snježana, obwohl das natürlich nicht der Realität entsprach, Eisenstein begann seine Erzählung im Jahr 1895 , als die vier noch lange nicht geboren waren.
Am Fuß des Dornenbergs – slawisch Glogovac – in Bosnien-Herzegowina, damals seit zwei Jahrzehnten nicht mehr türkisch, sondern unter österreichisch-ungarischer Verwaltung, sollte eine deutsche Siedlung geschaffen werden, wo bis dahin nur Sumpf und undurchdringlicher Wald gewesen waren. Deutschstämmige evangelische Familien aus Südosteuropa, Galizien, Russland errichteten ein erstes Dorf, das in den folgenden Jahren wieder und wieder von Überschwemmungen heimgesucht wurde, sodass man beschloss, auf dem Dornenberg eine neue Siedlung zu gründen.
Nach Vorgabe der bosnischen Regierung entstand 1902 auf dem Bergrücken das Reihendorf Glogovac, um die sechs Kilometer lang, mit einer Querstraße, ohne Felder und Äcker, die Siedler bewirtschafteten weiterhin den alten Grund im Tal, sieben Kilometer entfernt. Im Zentrum des deutschen Dorfes Glogovac befand sich das Zentrum des serbischen Dorfes Štrbci, Schule und Kirche samt Pfarrhaus für die verstreuten serbischen Bauernhöfe der Gegend. 1903 erhielt Glogovac auf Antrag der
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