Im Auftrag des Tigers
Vorstellung.«
»Ja. In Taiwan zum Beispiel gibt es Fabriken, die stellen jährlich hektoliterweise Tiger-Wein her.«
Armstrong verzog den Mund: »Was is'n das?«
»Ein paar Kaffeelöffel Tiger-Pulver in Wein – und fertig.«
»Nicht zu fassen.«
»Ja, aber sie verdienen damit Millionen von Dollars. Ein Schluck, und schon bist du Rheuma, Krebs und Nesselfieber los und hast einen Ständer. Nun überleg dir mal, wieviel Chinesen auf der Welt rumlaufen. Und wieviel Tiger … Da hast du das ganze Problem.«
»Und was macht sie?«
»Nun, das Übliche. Sie recherchiert und bringt Dokumentar-Material, filmt, schafft mir die Unterlagen, die ich dann an die Medien weitergebe. Du hast es doch zuletzt bei dem Atom-Müll-Skandal erlebt, wie das läuft.«
»Es lief prima«, sagte Walt beeindruckt.
»Diesmal gibt es eine äußerst interessante Variante: Mayas Vater war Biologe. Übrigens auch malaiischer UN-Delegierter. Aber Jahre zuvor bekam er von irgendeinem dieser malaiischen Sultane ein gewaltiges Gebiet als Schutzzone für seine Tiger-Stationen zur Wiederbelebung der Tiger-Population in Malaysia als Schenkung. Nun ist er tot. Die Rechte gingen an Maya über. Und genau in der Gegend sind sie jetzt am Abholzen. Die Kompanien wollen ihr ihre Rechte streitig machen.«
»Und du wirst das verhindern?«
»Nicht nur ich. Ich will's zumindest versuchen.«
»Na, dann viel Glück«, sagte Walt Armstrong und hob sein Glas. »Und wo hast du eine so exotische Frau aufgetrieben? Wo habt ihr euch kennengelernt?«
»Hier«, lächelte Rick. »Hier in London … Vor ziemlich genau einem Jahr …«
II
»… Peanuts können Sie jetzt sagen, nachdem ich Ihnen gerade erzählt habe, daß der letzte, ja, der allerletzte Rest der Tiger-Populationen auf dieser Erde mit rund sechstausend Exemplaren beziffert wird. Achtzig Prozent davon leben in Indien, dem überbevölkertsten Kontinent, den wir kennen. Der Kaspische Tiger ist vollkommen ausgerottet. Der Balitiger gleichfalls. Der Sibirische Tiger steht kurz vor diesem Schicksal … Wie es mit den Tigern in Malaysia steht, ist nicht genau feststellbar. Man schätzt, daß sich dort zwei- bis dreihundert Tiere in den letzten Regenwald-Revieren verstecken. Aber die Menschen brauchen schließlich Holz, nicht wahr? Und wer unbedingt Tiger sehen will, soll in den Zoo gehen. Und er kann sie sich ja auch im Zirkus zu Gemüte führen. Solange es so etwas wie Zirkus noch gibt …«
Der Ton-Ingenieur hinter der Scheibe legte den linken Zeigefinger an die Nase, Rick Martin machte eine irritierte Pause. Sollte dies ein Zeichen sein? Hatte er zu laut gesprochen? Na und? Er sprach weiter. Er brauchte kein Manuskript. Was er zu sagen hatte, war tausendmal gedacht:
»Vor der Gewalt der brutalen Tatsache, daß es dem Säugetier Mensch in den letzten zwanzig Jahren gelungen ist, Tag um Tag ein halbes Dutzend biologischer Arten und damit verwandte Wesen auszulöschen, zu deren Hervorbringung die Schöpfungskraft der Evolution, oder wenn sie es so haben wollen, Gott, sich Millionen von Jahren Zeit gelassen hat, verblaßt das Problem der Tiger. Da haben Sie recht … Vor dieser Tatsache hat es nur Symbolkraft. Diese Symbolkraft allerdings ist hoch. Schließlich, selbst so trockene Geister wie die Naturwissenschaftler sehen im Tiger eines der vollkommensten Tiere … Gerade dort, wo sich jetzt das letzte Kapitel seiner Existenz auf dieser Erde abspielt, in Südost-Asien, wird ihm göttliche Herkunft bescheinigt. Nun gut. Hier geht es nicht um Religion oder andere Gefühle, und schon gar nicht geht es mir um Dschungel-Romantik, die können sie bei Kipling nachlesen, falls sich für Kipling in England noch jemand interessieren sollte …«
Rick senkte seine Stimme noch weiter ab und bemühte sich, die Schlußsätze ohne jede dramatische Betonung und so sachlich, als ihm das nur möglich war, auszusprechen: »Mir, meine Damen und Herren, geht es allein um zwei fundamentale Erkenntnisse. Die erste lautet: Der Mensch opfert selbst seine Mutter der Maschine. Seine Mutter ist die Natur. Von ihr stammt er nicht nur ab, von ihr ist er bis hinein in seine letzte, bescheidenste Lebensäußerung abhängig.
Und zweitens: Die industrialisierte, sogenannte ›freie Wirtschaft‹ in ihrer heutigen Form – und das heißt legalisiert und abgesegnet von einer weithin korrupten Wissenschaft und einer abhängigen Politik – ist nichts anderes als die institutionalisierte Selbstzerstörung der Gattung Mensch.«
Rick steckte
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