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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Bruderschaft deine Elohim zu bringen«, flüsterte er. Elohim war Semitisch und bedeutete volle Konzentration der vielen göttlichen Stärken von El. David wusste, dass es im Universum keine größere Macht als die Elohim gab. Er hatte sie noch nie angerufen, und dementsprechend verschüchtert tat er es jetzt.
    Schweiß rann ihm übers Gesicht. Er zitterte vor Angst. Es hieß, das El Berge zum Einstürzen bringen könne. El hatte die Große Flut veranlasst, die fast die gesamte Menschheit ausgelöscht hatte. Niemand richtete das Wort an einen so hohen und mächtigen Gott. David von Lagasch wagte es dennoch.
    Und viel mehr als sie zu hören, spürte er, wie eine Stimme flüsterte:
Um mich zu kennen, muss die Menschheit lesen und schreiben können. Das geschriebene Wort wird sie zur Rechtschaffenheit anhalten und dazu, meine Gebote zu befolgen … Es darf nicht länger sein, dass Worte in den Händen von gierigen und korrupten Männern verbleiben. Der Tag des Buches wird kommen. Meine Söhne müssen vorbereitet sein …
    »Ich verstehe nicht, Erhabener. Der Tag des Buches, was ist das?«
    Keine Antwort.
    David öffnete die Augen, blinzelte verunsichert. Befahlen ihm die Götter, ungehorsam zu sein? Bildete er sich das etwa ein?
    Am Horizont zog ein neuer Tag herauf, eine neue Sonne, ein neuer Lebensabschnitt. Der Himmel klarte auf. Wenn David auf der Stelle zum Haus des Goldes aufbrach, blieb ihm, wenn er sich beeilte, gerade noch Zeit, ein Bad zu nehmen und sich umzuziehen, um dann vor den Rab zu treten.
    Er dachte an Rakel, die jeden Augenblick aufwachen konnte und dann möglicherweise einmalige medizinische Kenntnisse offenbarte, so viel Wissen und weise Ratschläge, wie Leah sie sich unmöglich merken konnte.
    Er kehrte der rosa Dämmerung den Rücken, verschloss die Ohren vor den Jubelrufen und Trompetenklängen aus der Stadt – verdrängte jedweden Gedanken an Feierlichkeiten und Festtagsgepränge und die Benennung des neuen Rabs –, wusste nur, dass er mit dem, was er vorhatte, zum ersten Mal den Eid des Gehorsams, den er in Lagasch als Schriftgelehrter abgelegt hatte, missachtete. Er nahm zwei frische Tonklumpen und machte sich daran, zwei neue Tafeln herzustellen. Als er fertig war, eilte er vom Dach die Treppe hinunter.
    Leah wachte am Bett ihrer Tante. »David! Du bist noch hier! Die Bruderschaft …«
    »Leah, es war kein Zufall, dass ich mich aufs Dach zurückzog und die Schrift mit anderen Augen zu sehen begann. Ich glaube, es war eine noch größere und noch ältere Macht als Shubat, möglicherweise El der Allerhöchste selbst, der mich dort hinaufwies, zu einer Begegnung mit ihm unter den Sternen. Seltsame neue Überlegungen drängten sich mir auf, Überlegungen, wie ich sie noch nie angestellt habe! Schau«, sagte er und deutete auf eine noch feuchte Tafel. »Dies hier sind die dreißig Zeichen für die dreißig Laute, die wir beim Sprechen äußern. Sie sind alles, was wir brauchen! Wenn du sie dir einprägst, kannst du alles lesen, was ich hier geschrieben habe.«
    »Wie …?«
    Er zog die andere Tafel heraus. »Das hier ist eines der Rezepte deiner Tante. Ich habe es in meiner neuen Schrift notiert. Sieh dir mal dieses Zeichen an.« Er deutete auf einen Buchstaben auf der anderen Tafel, der lang und schmal war und neben anderen Zeichen in einer Reihe stand. »Das ist der ›M‹-Laut. Kannst du dieses Zeichen irgendwo auf der Tafel entdecken, die ich umgeschrieben habe?«
    Sie studierte die Tafel mit dem Rezept. In der Ferne war der Klang eines großen Bronzegongs zu hören, der nicht nur das Öffnen der Tore zum Haus des Goldes ankündigte, sondern auch die Einwohner zusammenrief, um in ihrem Beisein den Namen des neuen Rabs zu verkünden. Leah deutete auf ein Zeichen. »Da«, flüsterte sie.
    »Und jetzt der hier«, sagte David und deutete auf den nächsten Buchstaben, ohne auf den Gong zu achten, der, wie er sich einredete, nichts weiter war als ein Geräusch wie jedes andere. »Das ist ein ›I‹. Siehst du so eins auf der anderen Tafel?«
    Leah suchte und wurde fündig. »Hier, gleich neben dem M.«
    Er deutete auf drei weitere, L, C und H, und forderte sie auf, sie zu suchen.
    »Sie stehen neben dem M und dem I.«
    »Kannst du mir sagen, was sie zusammen ergeben?«
    »Nein.«
    »Sprich sie laut aus, Leah. Diese fünf Laute. Sage sie dir vor, bilde sie mit Lippen und Zunge, dann erhältst du ein Wort.«
    »M …«, hob sie an, krauste die Stirn. »I … I, nein! Ich schaff’s

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