Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
einem Geheimtreffen zusammengekommen – vier junge Schriftkundige mit mutigem Herzen, aber bangem Blick – die Brüder David, Efram, Eli und Yosep. Freunde, die David umsichtig ausgesucht und ausgebildet hatte, junge Männer, die an Ehre glaubten und an die Wiederherstellung der Integrität der Bruderschaft.
»Gnädiger Shubat, steh uns bei«, sagte David. »Was hast du herausgefunden, Bruder Efram?«
Efram warf seinen wollenen Umhang ab und rückte näher an das Kohlebecken heran, das gegen den kalten Frühlingstag anbrannte. Er rieb die ausgestreckten Hände aneinander und sagte dann leise: »Gewisse Männer haben mir berichtet, dass Yehuda persönliche Informationen über Richter Uriah besitzt.«
Davids Gesicht verfinsterte sich. Richter Uriah war Shalaamans Schwager und in Abwesenheit des Königs die höchste richterliche Autorität im Lande. »Welche Art von persönlichen Informationen?«
»Uriah soll ein Verhältnis mit der unverheirateten Tochter einer angesehenen Familie hier
in Ugarit gehabt und sie geschwängert haben. Die Familie war entsetzt, und als das Mädchen ihn auch noch als Vater angab, geriet Uriah in Bedrängnis. Seine Ehefrau durfte nichts von dem Bastard erfahren, weil Geld und die Blutlinie von
ihr
stammen, nicht von ihm. Er übergab der Familie des Mädchens eine bestimmte Summe und fälschte dann einen Ehevertrag zwischen dem Mädchen und einem Mann, den es gar nicht gibt, um ihre Ehre zu bewahren und das Kind zu legitimieren. Das hat Rab Yehuda irgendwie herausgefunden und setzt seither Uriah mit diesem Wissen unter Druck. David, jeden Tag sucht Yehuda die Archive auf. Dort liest er die gesamte Korrespondenz, insbesondere alle Verträge und juristischen Dokumente.«
»Als Rab ist er dazu berechtigt.«
»Aber er benutzt diese Informationen, um andere einzuschüchtern oder zu manipulieren. Er wird immer mächtiger. Bald wird ihn niemand mehr aufhalten können, nicht einmal der König.«
Bruder Eli ergriff das Wort. »Hast du gehört, was man sich hinter vorgehaltener Hand über Yehuda und seine Einstellung zu Shalaamans diplomatischer Mission erzählt?«
David nickte. Es hieß, Yehuda sei dafür, dass Ugarit die Städte im Norden überfalle und sie statt zu Verbündeten zu Vasallen mache. Einen Krieg an zwei Fronten zu führen war wahnwitzig. Aber Yehuda schien von seiner Macht verblendet – einer Macht, die ständig zunahm.
»Wir müssen ihm irgendwie Einhalt gebieten«, sagte Bruder Yosep, der Jüngste der vier und noch im Noviziat. Idealismus und Leidenschaft drückten sich in seinem Blick aus. Und er war es auch, der Efram und Eli in Davids Geheimzirkel gebracht hatte.
David sah auf die Wasseruhr in der Ecke – eine große Urne, bis zum Rand mit Wasser gefüllt, das nach und nach vertropfte; der jeweilige Wasserstand war in Stunden unterteilt – und sagte dann: »Geht jetzt wieder an eure Arbeit, meine Brüder. Wir kommen heute nach den Abendgebeten erneut zusammen.«
Als er allein war, sah er sich auf dem Gang um. Bevor er zu Shubat betete, musste er ein Bad nehmen. Ein arbeitsreicher Tag lag vor ihm. Wo blieb Nobu mit dem Badewasser?
Gestern Abend hatte man ihn beauftragt, bei einem Silberschmied dessen letzten Willen und ein Testament aufzunehmen. Nachmittags sollte er zwei Eigentumsnachweise ausfertigen sowie eine schriftliche Vereinbarung zwischen Schweinezüchtern, die sich über die Begrenzungslinie zwischen ihren Grundstücken nicht einig werden konnten. Das entsprach zwar kaum der gottgefälligen Arbeit, der nachzugehen er sich hier in der Bruderschaft erhofft hatte, aber es machte ihm nichts aus. Worte waren Worte, Briefe waren Briefe, und alle waren heilig. Außerdem konnte er dadurch, dass er in der Bruderschaft lebte und alltägliche Aufträge erfüllte, in aller Ruhe seiner Leidenschaft nachgehen: seiner neuen Schrift.
Und zwischendurch gab es immer wieder die Chance, dem Haus von Elias einen Besuch abzustatten und Briefe von Leah vorzulesen …
Noch immer spürte er den bohrenden Schmerz, den ihre letzten Worte vor mehr als vier Jahren ausgelöst hatten. Damals, als sie, statt vom König belohnt zu werden, Shalaamans Gefangene geworden war, hatte sie zu ihm gesagt: »Ich werde dich verachten …«
Seither hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. David hatte zwar bei verschiedenen Anlässen einen kurzen Blick auf sie erhascht – bei einem Mondritual im großen Zeremoniensaal und nochmals bei einer Prozession zur Feier des Tages, an dem der König
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