Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
umgehend zu ihm bringen.«
David runzelte die Stirn. »Ihn begleiten? Wohin?«
»Meister, wie ich erfahren habe, wird Thutmosis umgehend mit fünf Divisionen Infanterie und Streitwagen zu einem Berg namens Karmel aufbrechen. Die Rede ist von einer Invasion. Ach, Meister, man befiehlt dir, in die Schlacht zu ziehen!«
13
Da stand sie, am Ende einer von Bäumen gesäumten Straße. Eine Privatvilla, die sich Hathors Lustgarten nannte. Avigail konnte nicht lesen, aber die Zeichnungen auf den weißen Mauern und am Tor waren eindeutig: graphische Darstellungen von männlichen und weiblichen Genitalien.
Hathors Lustgarten war ein Hurenhaus.
Weil es praktischer war, hatte Avigail Davids goldenen Armreif gegen Ringe aus Kupfer, Silber und Gold eingetauscht und dann mit Hilfe eines Beamten am Obersten Gerichtshof eine Fristverlängerung durchgesetzt, um Ziras Besitzanspruch auf ihre Familie anzufechten. Inzwischen war die Gnadenfrist jedoch verstrichen. Und heute sollte Zira mit dem Sklavenhändler erscheinen und sie alle abholen.
Avigail hatte gehofft, dass David inzwischen zurück sein würde. Die Freunde, die sie um Hilfe gebeten hatte, hatten alle mit Bedauern abgelehnt. Somit war die Familie ohne jedweden männlichen Beschützer. Zira hatte sie in die Enge getrieben. In ihrer Verzweiflung war Avigail inzwischen bereit, nach jedem Strohhalm zu greifen, um ihre Familie und ihr Zuhause zu retten.
Tagelang hatte sie versucht, einen Anwalt ausfindig zu machen, der sich ihres Falles annehmen würde, war jeden Morgen in den großen Hof des Hauses des Goldes gegangen, hatte einen nach dem anderen gefragt, war aber immer wieder abgewiesen worden, weil sie weder deren Dienste bezahlen konnte noch ihr Fall Aussicht auf Erfolg hatte. Zwei Anwälte schließlich hatten Mitleid mit ihr gehabt und sie an einen gewissen Faris verwiesen, der ihrer Meinung nach über den schärfsten juristischen Verstand in ganz Kanaan verfüge. Sie hatte bei ihm zu Hause vorgesprochen und dort vom Verwalter erfahren, dass sich Faris in Hathors Lustgarten im nördlichen Viertel der Stadt aufhalte.
Und jetzt stand sie vor der Tür dieses Etablissements und versuchte, Haltung zu bewahren. Wegen ihres ausgeprägten Gefühls für Stolz und Schicklichkeit wäre sie am liebsten auf der Stelle umgekehrt. Aber jetzt galt es, ihre eigenen Vorstellungen von sittsamem Verhalten beiseitezulassen und ohne männliche oder sonstige Begleitung bei einem Fremden vorzusprechen – und was vielleicht das Schlimmste war, zu diesem Zweck ein ägyptisches Bordell zu betreten! Nicht alle Ägypter hatten Ugarit verlassen. Eine Frau namens Nefer-Merit war geblieben. Ihr Name und ihr Haus waren bis nach Tyros im Süden und Karkemisch im Norden ein Begriff.
Man hatte nicht versäumt, ihr besagten Faris als ehrlosen Kerl hinzustellen, der aus der Bruderschaft der Anwälte ausgeschlossen worden war, weil er sich hatte bestechen lassen und einen Richter bespuckt hatte. Unter anderen Umständen hätte sich Avigail niemals mit einem derart zwielichtigen Gesellen eingelassen; aber nun griff sie grimmig entschlossen nach dem Seil, um die Türglocke zu betätigen.
Mit wild pochendem Herzen hoffte sie, von Vorübergehenden nicht erkannt zu werden. Das einzig ihr verbliebene gute Gewand und der entsprechende Schleier waren dank Salomas geschicktem Umgang mit der Spindel aus fein gesponnener Wolle gefertigt, die mit dem Saft von zerstoßenen Wacholderbeeren eingefärbt worden war; anschließend hatte Avigail aus der Wolle den Stoff gewebt und aus diesem Gewänder für den Tag angefertigt, da Elias zurückkehren würde, denn dann wollte sie sich zu Ehren ihres Sohnes so schön wie möglich kleiden.
Ob dieser Tag je kommen würde? Lebte Elias überhaupt noch? Hatte es Sinn, auf seine Rückkehr zu hoffen? Avigail schüttelte den Gedanken ab. Heute galt es erst einmal, der Familie zuliebe diesen schweren Gang anzutreten. Deshalb trug sie ihre neuen Kleider mit Stolz. Klopfenden Herzens stand sie vor dem Tor des berüchtigten Bordells und flehte zu Asherah, sie möge ihr Mut verleihen, und gleichzeitig hoffte sie, dass der Fremde, den sie um einen Gefallen bitten wollte, nicht bemerken würde, dass sie barfuß war.
Ein ägyptischer Türsteher, bekleidet mit einem knielangen Rock aus Leinen, Sandalen und Lederkragen, öffnete das Tor. Seine Augen waren blau umrandet und seine Lippen rot gefärbt. Seine schwarze Perücke reichte ihm bis auf die nackten Schultern. Nachdem Avigail ihr
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