Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
spürte Avigail, dass ihm seine Absage ehrlich leidtat. Und obwohl er noch fettleibiger war als Jotham und seine Tage in einem Bordell verbrachte, schien er ein wohlmeinendes Herz zu besitzen, hatte er ihr doch aufmerksam zugehört, hin und her überlegt und ihr beim Sprechen in die Augen geschaut. Am besten jedoch gefiel ihr sein Lachen.
»Ich muss aber meine Familie und mein Haus retten«, sagte sie.
Faris schürzte die Lippen, sah das noch verbliebene Fleisch auf seinem Hammelknochen prüfend an, blickte dann zum Himmel und zur Sonne und zu den Blättern der Sykomore über ihm und sagte schließlich: »Allerdings gäbe es doch etwas, was ich unternehmen könnte, aber ich muss auf Bezahlung bestehen. Ohne Geld kann ich mir meine kleinen Freuden hier nicht leisten.«
Als Avigail einen Beutel herauszog, in dem es, als sie hineingriff, klimperte, sagte er: »Alles.«
»Aber ich muss davon noch Brot für meine Familie kaufen.«
»
Alles.
Wenn nicht, dann geh.«
Sie schüttete den Inhalt des Beutels auf den Tisch, der mit Fleischresten, Brotkrumen, Fischgräten und Schalen von Granatäpfeln übersät war. Faris überschlug in Windeseile den Gesamtwert. »Mehr hast du nicht?«
»Wie ich schon sagte, kann ich jetzt nicht einmal mehr einen Laib Brot kaufen.«
»Das hier entspricht bei weitem nicht meinem üblichen Honorar. Ich verlange sehr viel mehr, und man bezahlt es gern, weil ich der gerissenste Anwalt westlich von Babylon bin.« Er legte eine Pause ein, um einer seiner Begleiterinnen über die Wange zu streicheln. Dann wandte er sich wieder an Avigail. »Was hast du mir sonst noch anzubieten?«
Avigail überlegte, dann richtete sie sich kerzengerade auf. »Die Götter seien gepriesen, da gibt es tatsächlich noch etwas – etwas, was dir sonst keiner anbieten kann.«
Er sah sie zweifelnd an. »Und das wäre?«
»Die Gelegenheit, Zira und Jotham vor Gericht eine Niederlage beizubringen.«
Faris’ feminin wirkende Augen hefteten sich auf Avigail und musterten sie durch lange schwarze Wimpern. Schließlich warf er den Kopf zurück und lachte so herzlich und dröhnend, dass Avigail förmlich den Schnee auf dem Berg Libanon die Hänge hinunterdonnern sah.
»Die Götter seien meine Zeugen, wir sind im Geschäft!«, sagte er und griff mit der feisten Hand nach den Ringen, um sie in den Falten seiner weiten Robe zu verstauen. »Drei Dinge gilt es für dich zu beachten, gute Frau. Hör genau zu, denn du musst meine Anweisungen wie vorgegeben und in der von mir festgelegten Reihenfolge befolgen. Halt dich genau daran, sonst geht es schief.«
Sie lauschte mit angehaltenem Atem. Als er fertig war, sagte sie: »Bete für mich, mein
Herr, aber das bringe ich nicht über mich. Kannst
du
nicht für mich vor Gericht sprechen? Das Geld dafür werde ich schon irgendwie auftreiben.«
»Ich bin aus Ugarits Gerichtshof verbannt. Das Erbarmen der Götter sei mit dir, Avigail Em Elias, aber das musst du schon selber durchstehen.«
»Gesegnete Asherah, ich kann nicht! Es ist unmöglich!«
»Dann verlass mit deiner Familie Ugarit und versteck dich. Mehr kann ich für dich nicht tun.«
»Dagon segne dich«, sagte sie mit zitternder Stimme und wandte sich zum Gehen.
»Warte«, erwiderte Faris und reichte ihr einen ölig glänzenden und mit grünen und schwarzen Oliven gespickten knusprigen Brotlaib. »Ich werde für dich beten.«
Avigail stand mit dem kleinen Aaron an der Straße, auf der Fußgänger und Wagen und Pferde vorbeizogen, und wartete auf Zira und die Sklavenhändler. Nur mühsam verbarg sie ihren inneren Aufruhr. Unmöglich, dass sie nicht dem Rat von Faris folgte, stand er doch allem entgegen, woran sie glaubte. Als dann aber auch noch der kleine Baruch zu ihr kam und sie die beiden Knaben fest an sich drückte, wusste sie, was sie zu tun hatte. Es galt, das Geburtsrecht dieser beiden zu sichern. Egal, wie schwer es ihr fiel, sie musste Zira die Stirn bieten.
Sie schaute in Richtung Stadttor.
In Ugarit ging es hektisch zu, Spannung lag in der Luft. Angesichts der vielen Gerüchte, die umherschwirrten, wusste niemand, was wirklich vor sich ging. Kanaanäische Truppen hielten auf den Feldern vor der Stadt Waffenübungen ab, Streitwagen standen in Reihen bereit, Pferde wieherten auf notdürftig eingezäunten Koppeln. Man traf Vorbereitungen für einen Krieg. Wohlhabende Familien rüsteten ihre privaten Schiffe mit Proviant und Sklaven aus, lebten zum Teil auch schon auf dem Wasser im Hafenbecken, um rechtzeitig
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