Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
trug sie einen schlichten, auf der Brust zu einem Knoten geschlungenen Schal, eine schwarze, auf Schulterhöhe in gerader Linie abgeschnittene Perücke und um die Stirn einen goldenen Reif mit einer Kobra in der Mitte.
Und jetzt fiel Leah ein, dass damals bei jenem schicksalhaften Besuch vor sieben Jahren
Jotham über Ägyptens Pharaonin gesagt hatte, er habe gehört, dass sie darauf bestehe, mit »
Seine
Majestät« angesprochen zu werden.
Mit offenem Mund starrte sie jetzt in das Gesicht unter der gleichmäßig geschnittenen Ponyfrisur der Perücke. Eine Ähnlichkeit mit Thutmosis war anhand des kräftigen Kinns und der tiefliegenden Augen durchaus zu erkennen, aber während der Neffe hässlich war, wirkte die Tante majestätisch.
Leah schätzte die Königin auf um die fünfzig, und auch wenn sie körperlich robust zu sein schien, deuteten Falten und Schatten auf Erschöpfung und gesundheitliche Probleme hin. Deshalb also Reshefs unaufhörliches Fragen und Drängen nach dem Inhalt der achtzehn Tafeln!
Fast mit Händen zu greifen war die Macht, die diese Frau über die in diesem Pavillon Versammelten ausübte. Noch nie war Leah einer Frau begegnet, von der eine solche Stärke ausging. Als König Shalaaman dem König von Karkemisch seine Aufwartung gemacht und ihm Geschenke überreicht hatte, hatte die Königin steif und stumm wie eine Statue daneben gesessen. In der im Norden gelegenen Stadt Harran, wo Avram, der Urvater der Semiten, sein Vieh geweidet hatte, war die Königin nicht einmal zugegen gewesen, als sich im Thronsaal hundert prächtig gekleidete Höflinge zwischen mit Gold, Malachit und Türkisen verkleideten Säulen versammelt hatten. In der wunderschönen Stadt Mari war die Königin mit ihrem Gefolge im Harem geblieben, während ihr Gemahl König Shalaaman und seinen Hof empfangen hatte. Nur in der Wüstenstadt Palmyra hatte Leah eine eigenständige Königin zu Gesicht bekommen, allerdings war sie von männlichen Beratern umgeben gewesen, die ihre Schritte gelenkt hatten.
Hatschepsut war ein Wunder sondergleichen. Das Charisma, das sie ausstrahlte, war förmlich zu spüren wie eine körperliche Energie, die von ihr ausging und diese Männer beeinflusste, die doch selbst über große Macht verfügten. Jeder von ihnen verneigte sich und hob den rechten Arm zum Gruß, als ihre Königin sich jetzt erhob. Und kaum hatte sie den ersten Schritt getan, wichen die Männer in Helmen, in priesterlichen Gewändern und Leopardenfellen einen Schritt zurück.
Woher kam eine derartige Macht? War Hatschepsut wirklich der körperlichen Vereinigung ihrer irdischen Mutter und dem Gott Amon-Re entsprungen, wie sie behauptete? Es gab so viele Geschichten, in denen Götter menschliche Gestalt annahmen, um sich mit Sterblichen zu paaren, aber ob sie der Wahrheit entsprachen, wusste Leah nicht zu sagen.
Konnte es nicht auch sein, dass diese Frau einfach nur über eine so starke Persönlichkeit verfügte, über ein so unerschütterliches Selbstbewusstsein, dass niemand wagte, ihre Autorität anzuzweifeln?
Als Reshef jetzt ein paar Worte mit der Königin wechselte, antwortete Hatschepsut mit einer tiefen, kehligen Stimme, die durch das große Zelt hallte. Ein Schauer überlief Leah. Hatte die Königin etwa gerade ihre Hinrichtung angeordnet?
Leah wollte nicht sterben. Nicht jetzt, da sie zum ersten Mal den betörenden Rausch des Lebens durch Davids Liebe erfahren hatte. Sie durfte es nicht zulassen. Ihre Zukunft war an Davids Seite. Und ihre Familie brauchte sie. Es war nicht ihre Absicht gewesen, bei der höchsten Herrscherin überhaupt einzudringen – denn zweifelsohne lag alle Befehlsgewalt bei Hatschepsut und nicht bei Thutmosis.
Ich muss mit ihr sprechen, sagte sich Leah. Ich muss ihr sagen, dass ich sie nicht belästigen wollte, und sie um Gnade für mein unüberlegtes Handeln bitten.
Aber vor lauter Angst brachte sie keinen Ton heraus.
Wenn ich damals, als mich König Shalaaman, kaum dass er wieder gesund war, in seinem Palast festsetzte, sofort Einspruch erhoben hätte, hätte er mich vielleicht gehen lassen. Dann hätte ich möglicherweise verhindern können, dass Zira meine Familie in die Sklaverei verkauft. Weil ich aber geschwiegen habe, ist Unheil über meine Familie hereingebrochen.
Wie gebannt betrachtete Leah die Pharaonin vor ihr. Hatschepsuts Stärke kommt von innen, aus ihrer Seele, erkannte sie auf einmal. Ihre Stärke ist das Entscheidende an ihr. Eine Stärke, die von ihren Göttern
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